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November 4, 2011 / unbeschirmt

Freedom is just another word for nothing

Frei und frech und indezent
Wenn ein Arzt von mir will, dass ich mich „frei mache“, meint er, ich soll mich nackt ausziehen.
Wenn ich vom Nachbartisch mit den Worten „ich bin so frei“ einen Stuhl wegziehe, nehme ich mir Freiheiten heraus, bin also „frech“, wobei jeder, der mir vorwirft, ich würde mir Freiheiten herausnehmen, meint, ich wäre indezent. Wenn ein Autoverkäufer von Beinfreiheit redet, meint er Hohlräume, meint aber nicht, dass Meinungsfreiheit auch einem Hohlraum entspringt, worin begründet liegen mag, dass der Hohlraum eine Versiegelung hat, die vor indezenten Blicken auf nackte Tatsachen schützt, aber trotzdem Freiheit genannt wird, während die Meinung unversiegelt zu sein hat, um frei genannt zu werden. „Freedom is just another word for nothing left to lose“ klingt aus dem Autoradio ganz anders, als in Herz und Verstand. Dieses Lied in einem Auto, wie auch in jeder anderen Hohlraumversiegelung zu hören, müsste eigentlich für Raum und Zeit sowie für Herz und Verstand zu einer tödlichen Rückkopplung führen. Bei vielen Menschen klingt es wohl auch so, wenn sie sich innerhalb ihrer Versiegelung die Freiheit nehmen, bei diesem und anderen Liedern mit zu singen. Vielleicht sind Autos ja eher Freisingkabinen. Es ist einfach, frei zu singen, wenn niemand einem zuhören kann. Vielleicht stehen wir auch unmittelbar vor der Entwicklung von Freiredekabinen, in denen jeder seine Meinung sagen kann, ohne von anderen gehört zu werden. Es ist einfach innerhalb seiner eigenen Versiegelung seine Meinung frei zu äußern.

Meinungsfreiheit, Meinungsgleichheit und Meinungsbrüderlichkeit
Wie gut, dass jetzt so viele auf die Straße gehen und ihre Meinungen laut herausschreien, damit sie jeder hören kann, und dass wir allen anderen diese Freiheit auch zugestehen. Ja – es sollten alle tun.
Wenn Meinungen mehr sind, als Ahnungen und auf der Basis von Erfahrungen und Wissen entstehen, kann allein die gemeinsame Erfahrung im Allermeinungsgegröhle immerhin das Wissen von Vielfalt hervorbringen, die wir vermutlich nie geahnt haben aber die dann im Rosa Rauschen der Meinungen untergeht. Eine wohlige Nestwärme umgibt uns in Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit; in Meinungsfreiheit, Meinungsgleichheit und Meinungsbrüderlichkeit. Du bist ein ein Faschist? Macht nichts! Gröl deine Meinung heraus, sie wird sich im Gegröle vermischen. Nur bitte werde nicht gewalttätig, denn dann müssten wir es auch werden, damit sich deine Gewalt im Rosa Rauschen der Gewalt vermischt und unauffällig wird. Ach, du bist schon gewalttätig? Mist. Wie konntest du dir diese Freiheiten herausnehmen? Warst du wenigstens demokratisch genug, dir auch die Fresse polieren zu lassen?
Nein, lass uns lieber mit Worten kämpfen. Du darfst sagen, was du willst.

Du darfst verleumden
Über allem steht die Freiheit. Du darfst deine Nachbarin verleumden und eine Hure nennen, auch wenn sie nie von deiner Verleumdung erfahren wird. Nett ist es nicht, doch deine Freiheit wollen wir dir nicht einschränken, wenn du der Meinung bist, also auf der Basis von Wissen und Erfahrung sagen kannst, dass deine Nachbarin eine Hure ist. Für die Meinung anderer, die ihr deswegen die Wohnung kündigen, kannst du ja nichts. Das ist ja die Meinung jener anderen, für die du einzutreten hast. Komme, was da wolle. Du konntest ja nicht ahnen, was du meinst, kannst aber meinen, was du ahnst.
Und deswegen darfst du auch laut „Feuer“ schreien, wenn wir uns versammeln. Wenn du meinst, was du ahnst, ist das durchaus berechtigt auch wenn deine Ahnung darin besteht, viel Spaß bei der anschließenden Panik zu haben. Du hast das Recht, eine Panik auszulösen, wenn es deine Meinung ist, das Recht zu haben, eine Panik auszulösen. Gegen diese Logik soll erst einmal jemand gegenan stinken. Alles andere ist Unterdrückung, Auch ein Verbot, dich mit braunen Gesellen zu verbrüdern, wäre genauso eine Unterdrückung, wie die Scheu davor, die braunen Gesellen, die du allmorgendlich in die Schüssel abseilst, abends wieder zu essen, eine Konditionierung sein muss. Ja, wir haben das Recht, uns morgens mit Faschos zu verbrüdern und abends unsere eigene Scheiße zu fressen. Hauptsache, wir tun das im Namen der Freiheit, indezent.

Wir hätten können
Denn unsere Feinde sitzen über uns und beherrschen uns durch Unterdrückung. Dieses Armani-, Louis Vuitton- und Pradalumpenpack macht was es will.
Natürlich hätten wir schon Klassen., Schul- und Elternsprecher werden können, aber das war so mühsam. Wir haben ja keine Staatskarossen, die uns von G8 zu G-Punkt chauffieren. Wir hätten uns auch gewerkschaftlich betätigen können, sogar Streikposten oder Hausbesetzer sein können, aber war das nicht alles so unfriedlich? Und hätten wir etwas erreichen können. Also individuell erreichen, denn auch Elternsprecher sind dies ja nur, weil sie das beste für ihr eigenes Kind wollen. Das lehrt uns die Erfahrung bis zum Wissen. Wir hätten sogar an öffentlichen Sitzungen teilnehmen können, um zu erfahren, wo wieder Gelder gestrichen werden.

Lasst uns beten
Das alles hätte uns zwar Erfahrungen gebracht und denen dort oben die Erfahrung unserer Gegenwart aufgenötigt, aber unbequem wäre es schon gewesen, nicht so friedlich, wie in dem Schwarzen, dass um uns griff.
Denn tatsächlich muss ja alles um uns herum schwarz sein, wenn jede Kritik – mag sie auch noch so ahnungslos und meinungsfrei sein – ins schwarze trifft.
Die öffentlichen Medien belügen uns!
Ja! Du hast voll ins schwarze getroffen!
Die Menschenrechte werden missachtet!
Ja! Du hast voll ins schwarze getroffen!
Das Kapital bestimmt die Politik!
Ja! Du hast voll ins schwarze getroffen!
Unsere Renten müssen sicher bleiben!
Ja! Du hast voll ins schwarze getroffen!

Klingt das nicht, wie eine Litanei? Und klingt dann nicht das anschließende occupy wie ein abschließendes Amen? Wir wissen zwar nicht, was wir wollen, aber es war schön in Freiheit unsere Meinungen darüber austauschen zu können?
Es hat schon etwas von allem, was am Christentum verteufelt wird. Es gibt satanische Bilderberger, die im ewigen Kampf mit der seligen Meinungsbrüderlichkeit liegen. Der Baum der Erkenntnis liegt im Rosa Rauschen verborgen und wenn Eva den Apfel pflückt, sieht man sie dort nackt stehen. Dann hat sie sich eben frei gemacht. Paradiesische antiparadiesische Zustände.
Es mag ja sein, dass das alles ein wenig konfus klingt. Aber ist es nicht auch konfus?
Ich gebe hier meine Meinung zu diesem Test nicht wider. Denn meine Meinung ist nicht frei. So weit lasse ich es nicht kommen. Meine Meinung ist und bleibt meine Meinung. Ein wenig variabel, wie auch mein Hirn plastisch ist, aber doch so wertvoll für mich, als dass ich sie freigebe und sie sich dann irgendjemand aneignen und auf dem Schwarzmarkt verschachern kann.

September 28, 2011 / unbeschirmt

Cogito interruptus

Die Annahme, Regierungen würden Instruktionen von den Multis bekommen, ist kindisch
Nachdem das Prinzip der großen Systeme im Ansatz erfasst worden ist, wird es neuerdings wieder mythologisiert, wenn behauptet wird, sie würden von geheimen Plänen gesteuert, in deren Besitz diverse Banker, Kapitalisten, Medienbossen oder auch Bilderberger sowie irgendwelche Geheimlogen seien. In Wirklichkeit gibt es diese Geheimnisse nicht und man weiß sehr gut, wie sie funktionieren. Wenn das multinationale Gleichgewicht der Konzerne die Bildung von neuen basisdemokratischen Bewegungen nicht ratsam erscheinen lässt, ist es kindisch zu glauben, dass Regierungen Instruktionen erhalten, wie diese Bewegungen in die Knie zu zwingen seien. Man bräuchte „nur“ einen Zwischenfall provozieren, der den Dollarkurs oder den Euro beeinflusst, und schon treten die Währungen in eine Krise. Man bräuchte nur Immobilienblasen platzen lassen, Energieversorgung erschweren oder auch den Diamantenmarkt in Amsterdam durcheinander bringen. Dies alles funktioniert ausgezeichnet ohne jegliche Geheimpläne, sondern ist nichts weiter als ein Handeln innerhalb der Logik des Systems. Jeder, der seine Rente fordert, sein Hartz IV, sein Kindergeld und alle anderen sozialen Hilfen, folgt dieser Logik und müsste erkennen, dass es keiner Geheimnisse bedarf.

Ein Exzess der Demokratie müsste unsere Sozialleistungen vernichten
Protestbewegungen, angefangem beim friedlichen Zelten auf dem Alexanderplatz bis hin zum Terrorismus sind keine Widersacher der Systeme. Im Gegenteil, sind sie ihre natürlichen Gegenstücke: akzeptiert und einkalkuliert.
Das System der multinationalen Konzerne kann nicht in einer Weltkriegswirtschaft leben, aber es weiß, dass es die natürlichen Schübe der biologischen Aggressivität oder das sporadische Aufbegehren von Völkern oder Gruppen nicht ganz unterdrücken kann. Darum akzeptiert es einerseits lokale Kriege und partizipiert daran, wobei sie von Mal zu Mal diszipliniert und durch gezielte internationale Eingriffe klein gehalten werden müssen und eben auch den Terrorismus. Da und dort ein Betrieb sabotiert, da und dort eine Bombe und einstürzende Handelszentren, Flugzeugentführungen – aber das System bleibt intakt. Wir wollen es ja auch gar nicht anders, da wir uns sonst selbst gezwungen sähen, uns in einem weitaus größeren Konflikt zu bewähren. In einem Exzess an Demokratie, der die Situation unregierbar zu machen droht. Denn es gibt weder nationale Kapitalisten wie Onkel Dagobert, noch dessen nationalen Gegenpart. In diesem Exzess der Demokratie gäbe es ein globales Veto- und Stimmrecht und unsere Sozialleistungen wären Historie.

Die Massen würden existentiellen Änderungen Einhalt gebieten
Da unser System kopf- wie herzlos ist, hat es eine ungeheure Regenerationsfähigkeit. Jeder Schlag trifft es nur an der Peripherie. Wenn durch einen Anschlag einmal mehrere tausend Menschen auf der Strecke bleiben, nimmt man es hin, wie die Sterblichkeitsrate auf der Autobahn. Im übrigen schreitet man zu einer Medievalisierung des Territoriums, welches global und weitestgehend vernetzt ist, misst und bewertet dort nicht mehr nur das Verhalten sondern auch die allgemein gültigen Moralvorstellungen und bindet diese in den Konsens mit ein, ohne einen einzigen Kompromiss eingehen zu müssen, der die Peripherie durchdringt.
Das einzige, was der multinationale Kapitalismus als enst zu nehmenden Unfall bezeichnen würde, wäre ein terroristischer Aufstand in allen Teilen der kapitalistischen Welt, ein Terrorismus der Massen.
Doch, soweit ein System etwas wissen kann, weiß das System der Multis, dass diese Hypothese auszuschließen ist. Der moderne Kapitalismus schickt keine Kinder mehr in die Minen, sondern lässt es zu, dass die Kinder von ihren Eltern geschickt werden oder von sich aus gehen. Das System schafft eine Not, mit der der Kapitalismus das tut, wozu er geboren wurde: Er benutzt sie und wäscht seine Hände in Unschuld, wenn er den Notdürftigen ihre eigene Infrastruktur überlässt.
Die Terroristen sind es, die nichts zu verlieren haben als ihre Ketten, aber das System sorgt dafür, dass alle anderen (bis auf die gänzlich Abgedrängten) in einer Situation verallgemeinerten Terrors etwas zu verlieren hätten. Es „weiß“, dass wenn der Terrorismus beginnen würde, über ein paar effekthascherische Aktionen hinaus das Alltagsleben der Massen ernsthaft zu beunruhigen, diese Massen dem Terror Einhalt gebieten würden.

Das Volk wird untragbar
Was das System der Multis tatsächlich ungern sieht, ist es wenn Massenorganisationen anfangen, ihre Nasen in das internationale Management des Kapitals hineinzustecken. Dann kommt es immerhin zu Störungen, an denen zwar kein Multi zugrunde gehen würde, aber es würde alles für ihn viel schwieriger machen.
Die größte Sorge der multinationalen Konzerne ist die, dass Kontrollen durch das Volk eine Verwaltung der Macht behindert, die sich keine Ausfallzeiten für Nachprüfungen an der Basis leisten kann. Die größte Sorge eines Systems, dass mehr und mehr auch das Volk und eine Basisdemokratie mit einbezieht wird sein, dass auch das Volk sich diese Ausfallzeiten nicht mehr leisten kann oder sogar erkennt, dass das System untragbar ist und somit auch die basisdemokratischen Beschlüsse des Volkes.
Mit anderen Worten: Ich mach mir mein System nicht kaputt, wenn ich dann morgen keine Unterstützung mehr bekomme. Oder abgeschwächt: Steckt eure Nase nicht zum Ende des Monats in die Angelegenheiten, wenn ihr nicht sicher sein könnt, am folgenden ersten eure Unterstützung zu bekommen. Der kategorische Imperativ wird zu einem Cogito Interruptus.

Meinungsfreiheit im Hühnerstall
Wenn viele neue Freiheits- und Wahrheitsbewegten recht haben mit ihrer Analyse einer Weltregierung der Multis, dann müssen sie zugeben, dass sie selbst nichts weiter sind als deren natürliches und einkalkuliertes Gegenstück. Sie müssen zugeben, dass sie ein Stück spielen, dessen text ihnen ihre vermeintlichen Gegner geschrieben haben. Statt dessen, nachdem sie meinen, ein Grundprinzip der Systemlogik – wie grob auch immer- aufgedeckt zu haben, antworten sie mit einem kitschig-romantischen Groschenroman voll finsterer Ränkeschmiede und tapferer Rächer der Enterbten. Edel und effizient wie der Graf von Monte Christo. Man könnte darüber lachen, wenn der Roman nicht mit Blut geschrieben wäre. Oder sie antworten mit einem Jahrhundertroman, finden sich in Zeltlagern zusammen und fordern eine Meinungsfreiheit für sich, die sie, würden sie nur etwas weiter über ihr Campinggeschirr schauen, als die Freiheit des Fuchses im globalen Hühnerstall erkennen müssten.
Nein – kein Tom Joad wäre in diesem Lager anzutreffen. Und bei diesem Gedanken bleibt einem das Lachen im Halse stecken.

Mai 21, 2011 / unbeschirmt

Demokratie und Public Relation (Teil 3)

Bei der Studie eines Systems ist es oft nützlich, sich etwas radikal anderes anzusehen oder das System zu einem Extrem zu führen, um die entscheidenden Merkmale hervorzuheben. Beginnen wir also damit eine Gesellschaft zu betrachten, die der uns entgegengesetzten Richtung sehr nahe kommt: Die UdSSR der 70er und 80er Jahre.

Wie war die Politik ausgestaltet? In der UdSSR wurde die Wirtschaftspolitik im geheimen von einer zentralisierten Macht bestimmt. Plebeszitäre Einflüsse waren gleich Null und wenn überhaupt vorhanden, dann höchstens marginal durch die Kommunistische Partei. Die Politik wurde von den gleichen Personen gestaltet. Das politische System war sinnlos, da es praktisch keinen Fluss von Unten nach Oben gab.

Für den totalitären Geist ist kein Grad von Unterwürfigkeit jemals genügend.
Berücksichtigen wir weiter das Informationssystem, welches unvermeidlich durch die Verteilung wirtschaftlich-politischer Macht beeinflusst wurde. In Breschnews UdSSR gab es ein Spektrum, welches die Zerwürfnisse innerhalb der zentralisierten Macht abgegrenzte. Dabei waren die Medien den Kommissaren niemals gehorsam genug. Also wurden sie wegen der Unterminierung des öffentlichen Kampfgeistes während des Krieges in Afghanistan scharf dafür verurteilt, den imperialistischen Aggressoren und ihren lokalen Agenten in die Hände zu spielen, gegen die die UdSSR das Volk von Afghanistan so mutig verteidigte. Für den totalitären Geist ist kein Grad von Unterwürfigkeit jemals genügend.

Aber es gab Regimekritiker und alternative Medien: Samizdat und ausländischen Rundfunk. Nach einer Studie von 1979 hörten 77% der Arbeiter und 96% der Mittelklasse-Elite ausländische Sendungen, während die alternative Presse 45% der hochqualifizierten Arbeiter, 41% der politischen Führer, 27% der Manager, und 14% der Arbeiter erreichte. Die Studie fand weiter heraus, dass die meisten Menschen mit ihren Lebensbedingungen zufrieden waren, die staatliche medizinische Versorgung favorisierten und die Kontrolle der Schwerindustrie durch den Staat unterstützten. Für Auswanderung gab es mehr persönliche als politische Gründe.

Regimekritiker wurden erbittert verurteilt, was von der Tatsache bewiesen wurde, dass sie die Fehler des sowjetischen Systems kritisierten, anstatt in den Paraden mitzumarschieren, welche die Verbrechen der offiziellen Feinde anprangerten. Sie wurden natürlich bestraft, nicht im Stil von US- und EU-Klientenstaaten wie El Salvador, aber hart genug.

Zwischen anti-sowjetisch und deutsch-feindlich besteht nur ein Unterschied in der Strafe
Der Begriff „anti-sowjetisch“ ist besonders auffallend. Wir finden ähnliche Begriffe in Nazideutschland, Brasilien unter den Generälen und unter totalitären Kulturen im allgemeinen. In einer relativ freien Gesellschaft würde der Begriff einfach nur Spott hervorrufen. Stellen Sie sich vor, dass z.B. Kritiker der italienischen Staatsmacht wegen „Anti-Italienismus“ verurteilt würden. Solche Begriffe wie „anti-sowjetisch“ sind ein starkes Anzeichen einer totalitären Kultur. Nur die treuesten und humorlosesten Kommissare konnten solche Begriffe benutzen, so wie heute bei uns nur bestimmte Medien und Politiker anderen Deutschfeindlichkeit vorwerfen können und tun.
Zwischen anti-sowjetisch und Deutschfeindlichkeit besteht nur ein Unterschied in der Strafe.
Zum Schweigen bringen sollen beide Beschuldigungen.

Parteivolk, dass sich zu benehmen wusste, war solcher Verbrechen wie Anti- Sowjetismus nicht schuldig. Seine Aufgabe war es, dem Staat und seinen Führern zu applaudieren; oder noch besser, sie dafür zu kritisieren, wenn sie von ihren großartigen Prinzipien abweichten, wodurch die Propaganda weitaus effektiver eingeflößt wurde. Nämlich durch eine Grundannahme statt einer Behauptung, was wie immer das wirksamste Mittel ist. Der Kommissar darf sagen, dass die Führer in ihrer Verteidigung von Afghanistan gegen „den Angriff vom Innern, welcher von Pakistan und dem CIA manipuliert wurde“ irren. Sie hätten verstehen sollen dass „es ein afghanischer Krieg war und das wir verlieren würden, wenn wir ihn in einen Krieg des weißen Mannes verwandeln würden.“ Ähnlich hätte ein Nazi-Ideologe zugestehen können, dass das „Zusammentreffen“ zwischen Deutschen und Slawen an der Ostfront „nicht sehr begeisternd war“. Wegen der Ausgeglichenheit müssten wir uns aber vor Augen führen, dass es „ein totaler Krieg zwischen rivalisierenden Nationen um die Kontrolle eines Territoriums war, für das beide Gruppen zu sterben bereit waren“ und „die Bedingungen des Konfliktes“ für die Slawen „weniger mörderisch“ waren als für die Deutschen, die den Lebensraum dringend benötigen und „die nicht nur ihre Vermögen, sondern auch ihre ganze Hoffnung auf ein neues Leben in ungetestetem Land gesetzt haben“. Die Slawen könnten immerhin nach Sibirien gehen können, um die Quelle direkt zu zitieren.

Und ebenso kann ein Minister heute argumentieren, dass in Afghanistan der Friede für unser Land und unsere Nachbarn gesichert werden muss und das ein Krieg in Libyen ein Kampf für mehr Demokratrie ist und dass diejenigen, die gegen den Krieg sind auch gleichzeitig gegen die Demokratie sind.

Jetzt können wir mit diesen Beobachtungen im Hinterkopf zu unserer eigenen freien Gesellschaft kommen.

Unterwürfigkeit ist ein Handelsgut
Beginnen wir mit der Ausgestaltung der Politik. Wirtschaftspolitische Richtlinien werden im Geheimen bestimmt; sowohl im Gesetz als auch im Prinzip ist der plebeszitäre Einfluss gleich Null. Die glücklichen 500 sind vielfältiger als das Politbüro und Marktmechanismen sind weitaus vielfältiger als in einer Befehlswirtschaft, aber ein Unternehmen, eine Fabrik, oder ein Geschäft ist das wirtschaftliche Gegenstück zum Faschismus: Entscheidungen und Kontrolle sind streng von Oben nach Unten gegliedert. Die Menschen werden nicht gezwungen, die Erzeugnisse zu kaufen oder sich selbst zu vermieten, um zu überleben, aber doch sind es die einzigen Optionen. Es gibt keine anderen Handelsgüter.

Das politische System ist eng mit wirtschaftlicher Macht verknüpft, sowohl personell als auch durch breitere Beschränkungen der Politik. Anstrengungen der Öffentlichkeit, die politische Arena zu betreten, müssen versperrt werden: liberale Eliten sehen solche Anstrengungen als eine gefährliche „Krise der Demokratie“ und für Reaktionäre („Konservative“) ist dies unerträglich. Das politische System hat abgesehen von der lokalen Ebene, welche von der Öffentlichkeit, die sich – wenn überhaupt – lieber in Eigen- und Bürgerinitiativen engagiert, als weitgehend sinnlos betrachtet wird, praktisch keinen Fluss von Unten nach Oben.

Die Medien präsentieren eine Palette von Meinungen, hauptsächlich taktische Unterteilungen, welche die Verbindungen zwischen Staat und Unternehmen widerspiegeln. Dort sind die Medien nie gehorsam genug. Dort werden die Medien scharf wegen der Unterminierung des öffentlichen Gehorsams verurteilt, wenn sie z. B. angeblichen ausländischen Aggressoren und ihren lokalen Agenten in die Hände spielen, wenn sie sich zu stark gegen eine Branche wenden oder wenn sie dem Plebiszitären einer Gesellschaft dienen. Wieder gibt es für den totalitären Geist keinen Grad von Unterwürfigkeit, der genügt.

Ohne Akzeptanz des Totalitären wären harte Strafen nötig.
Doch es gibt Regimekritiker und andere Nachrichtenquellen. Ausländische Rundfunksendungen erreichen praktisch niemanden, doch alternative Medien existieren. Allerdings sollte man bedenken, dass diese nur in einem weitaus geringerem plebiszitär bildenden Ausmaß als die Samizdat existieren. Regimekritiker werden scharf als „deutschfeindlich“ und als „Idiologen“ verurteilt, was von der Tatsache demonstriert wird, dass sie das Schlechte des deutschen Systems verurteilen anstatt zu Demonstrationen aufzufordern, welche die Verbrechen der offiziellen Feinde anprangern. Aber sie werden im einzelnen nicht streng bestraft, zumindest wenn sie privilegiert sind und der richtigen Farbe angehören. Wieder funktioniert das Konzept der „Deutschfeindlichkeit“, ein starkes Anzeichen einer akzeptierten totalitären Denkensart. Denn ohne diese Akzeptanz wären harte Strafen nötig.

Auch „Anti-Kapitalismus“ (gleichwertig „die Linke“, oder „Marxisten“) wird allgemein als eine kritische Haltung zu den existierenden gesellschaftlichen Vereinbarungen definiert; der kulturelle Glaube, dass dies eine oft fehlerhafte und möglicherweise verdammte Gesellschaft ist, die immer noch eine Bedrohung für ihre Bürger und die Menschlichkeit darstellt. Man ist der Meinung, dass die Linke mehr Beachtung und Aufmerksamkeit in den Medien bekommt, als ihr zusteht und „sehr einflussreich“ in Hochschulen und der Kirche ist. Aber noch ist nicht alles verloren: „es gibt keine einzige marxistische oder größere „anti- deutsche“ Tageszeitung (oder auch nur Journalisten größerer Zeitungen) im Land und die gefährlichen „Kirchen“ verlieren Mitglieder. Glücklicherweise sind jene mit „einer im allgemeinen kritischen Haltung gegen die existierenden gesellschaftlichen Vereinbarungen“ fast gänzlich ausgeschlossen, obwohl wir unsere Wächter behalten müssen, falls die Ketzerei einen kleinen Anschluss findet.

Die angeblich maßlosen und oberflächlichen Systemkritiker und dumme Ausreißer
Politisch Konservative sind außer sich, dass selbst nachdem „die kommunistische Alternative zusammengebrochen ist“, die Anti-Deutschen (implizit pro-kommunistisch) bei ihrer „dauerhaft feindseligen Kultur“ bleiben und damit fortfahren „ihr Land zu hassen“. Sie „haben dem nicht öffentlich abgeschworen“, auch wenn bewiesen ist, dass sie „völlig falsch“ in ihren wilden Ansprüchen lagen, dass die Kommunisten und andere Frevler „eine helle Zukunft für Menschheit darstellten“ — oder, um Delirien durch Realität zu ersetzen, dass die Sozialisten den Deutschen hätten Hoffnung bieten können. Die „Verbrecher“, die von den „ewiggestrigen realitätsfernen Träumern hinter der geistigen Mauer“ angeblich angeprangert werden, sind im deutschen Fall die Weltbank, die Jesuiten, die Zionisten, die Führungsfiguren europäischer Demokratie, Akkermann, Zumwinkel, Mehdorn, die öffentlichen Medien und die Verfassungs- sowie Nachrichtenorgane. Ein mit Sicherheit ziemlich breites Spektrum, dass der Öffentlichkeit nur zeigen soll, wie maßlos die Systemkritiker sind – und wie oberflächlich.

In dem Moment, in dem Systemkritik in der öffentlichen Meinung den Nimbus des Irrealen erreicht hat, hat die Propaganda ihre Pflicht erfüllt.
Das Wirksame an dieser Diffamierung der Systemkritiker ist, das bei diesem breiten Spektrum einmal mehr wohl „irgendetwas stimmen muss“. Dem Volk wird eine „freie“ Auswahl gegeben, aus der es sich etwas hereuspicken kann.

Wie erklärt wird, werden die „Anti-Deutschen“ nur vom Vergnügen des Kampfes gegen die Welt, in der sie leben angetrieben. Aber man kommt triumphierend zu dem Schluss, dass „in all ihrem anti-deutschen Wahnsinn einige Deutschland-Hasser das Land verlassen“. Love it or leave it, aber wage es nicht zu sagen, dass seine Großartigkeit fehlerhaft ist. Totalitäre Kulturen erreichen nicht oft solche Höhen. So sehen wir es wöchentlich in Auswanderershows des Fernsehens. Es entwickelt sich hier ein medialer Stellvertreterkrieg, der dem asymetrischen Kampf gegen den Terrorismus eine symetrische Komponente hinzugibt. Und meist wird es zu einem Versagen in einem unerprobten Land.

In dem Moment, in dem Systemkritik in der öffentlichen Meinung den Nimbus des Irrealen erreicht hat, hat die Propaganda ihre Pflicht erfüllt.

März 26, 2011 / unbeschirmt

Demokratie und Public Relation, (Teil 2)

Wenn man die Medien verstehen will, muss man zunächst einmal Fragen nach ihrer inneren Struktur stellen und sich dafür interessieren, welche Rolle sie im Rahmen der Gesamtgesellschaft spielen: In welcher Beziehung stehen sie zu anderen Systemen von Macht und Autorität? Und schließlich gibt es, wenn man Glück hat, Akten und Aufzeichnungen führender Leute im Mediensystem, aus denen man erfahren kann, welche Ziele sie verfolgen. Das ist wichtig, da wir es mit einem ideologischen System zu tun haben. Ich meine natürlich nicht die üblichen Public-Relations-Veröffentlichungen, sondern das, was diese Leute sich gegenseitig über ihre Absichten mitteilen. Und was das betrifft, gibt es eine Menge interessantes Material. Dann untersucht man den Medienoutput und überprüft, inwieweit er den aufgestellten Hypothesen entspricht.
Medienanalysen bestehen in der Regel fast ausschließlich aus diesem letzten Teil – aus dem Versuch, die Produkte der Medien ganz einfach sorgfältig zu studieren und herauszufinden, ob sie so aussehen, wie es sehr plausible Annahmen über Wesen und Struktur der Medien voraussagen.
Dort erfährt man u. a. viel über deren Leser, deren Meinungen, Kaufkraft, ob die Leser selbst Meinungsbildner oder -mittler sind und natürlich die tatsächlich verkaufte Auflage sowie, ob es Zweit- oder Drittleser gibt und wie lange die einzelnen Ausgaben kursieren, bevor sie im Altpapier landen.

Das ist ganz nett, wenn man Anzeigen schalten will, sagt aber nichts weiter aus. Es sagt eher etwas über die Menschen aus, die sich mit Mediadaten und Analysen zufrieden geben.

Elitemedien
Es gibt die sogenannten Elitemedien, die manchmal auch als die trendbestimmenden Medien bezeichnet werden, weil sie über die größten Mittel verfügen und den thematischen Rahmen abstecken, an den alle anderen sich halten müssen. Leute, die diese Medien nutzen, also Leute mit einem gewissen Einkommen oder Angehörige dessen, was manchmal als die politische Klasse bezeichnet wird, sind tatsächlich auf beständiger Basis am politischen System beteiligt. Dabei kann es sich um Politiker, Wirtschaftsmanager wie die Topleute der Großkonzerne, akademisches Führungspersonal wie Universitätsprofessoren oder auch um Journalisten anderer Medienunternehmen handeln, die sich ebenfalls damit befassen, das Denken und die Weltsicht der Medienkonsumenten zu beeinflussen.

Massenmedien
Die Elitemedien stecken den Rahmen ab, in dem die restlichen Medien operieren. Wenn man sich Agenturen wie AP oder DPA ansieht, die eine permanente Nachrichtenflut ausstoßen, stellt sich heraus, dass dieser Strom vermischter Nachrichten jeden Nachmittag durch die Meldung unterbrochen wird: „An die Redaktionen: auf der Titelseite der Times oder des Spiegels werden morgen folgende Berichte erscheinen.“

Vergleichbares wäre im Baugewerbe, wie in fast allen anderen Branchen strengstens verboten.
Wenn man beispielsweise Redakteur einer Zeitung in Hintertupfingen ist und nicht über die Ressourcen verfügt oder sich sowieso nicht die Mühe machen will, selbst an wichtige Nachrichten heranzukommen, erfährt man auf diesem Weg, was als „Nachricht“ zu gelten hat. Wenn man jedoch vom vorgeschriebenen Weg abweicht und Berichte bringt, die den Unwillen der großen Zeitungen erregen, wird man das ziemlich bald zu spüren bekommen.

Die Massenmedien im eigentlichen Sinn haben im wesentlichen die Funktion, die Leute von Wichtigerem fernzuhalten. Sollen die Leute sich besser mit etwas anderem beschäftigen, Hauptsache, sie stören uns nicht. Wenn sie sich zum Beispiel für den Profisport interessieren, ist das ganz in Ordnung. Wenn jedermann Sport oder Sexskandale oder die Prominenten und ihre Probleme unglaublich wichtig findet, ist das okay. Es ist auch okay, wenn man sich gegen oder für eine Regierung informiert, für einen oben- oder untenliegenden Bahnhof ist, sogar Kriege oder Atomkraft sind Themen, die egal sind, solange es bei einer Beschäftigung mit dem Thema bleibt. Es ist schlicht egal, wofür die Leute sich interessieren, solange es bei dem Interesse bleibt. Die wichtigen Angelegenheiten anzupacken bleibt den großen Tieren vorbehalten: „Wir“ kümmern uns darum. „Landleute wie wir, die wissen, was uns not tut“, hieß es schon im 17. Jahrhundert. Die das Land regieren, sollen es auch besitzen. Und zum Land gehören auch die Meinungen der Menschen, die darin leben.

Institutionelle Medien
Welches sind die Elitemedien, die die Tagesordnung für den Rest festlegen? Das sind zuallererst einmal große, sehr profitable Kapitalgesellschaften. Darüber hinaus haben die meisten von ihnen enge Verbindungen zu weit größeren Konzernen oder gehören direkt dazu. Sie mischen ganz oben in der Machtstruktur der Privatwirtschaft mit, und diese Struktur ist extrem tyrannisch. Die großen Kapitalgesellschaften sind strukturell gesehen Tyranneien: sie sind hierarchisch und werden von der Spitze aus kontrolliert. Und wer sich damit nicht abfinden will, fliegt raus.

Die großen Medien sind einfach einer der Bestandteile des Systems. Die Institutionen, mit denen die Medien im Rahmen ihrer Aktivität zu tun haben und mit denen sie in Verbindung stehen, sind ihrerseits bedeutende Zentren gesellschaftlicher Macht – die Regierung, die Großunternehmen oder auch die Universitäten. Aufgrund ihrer ideologischen Funktion unterhalten die Medien enge Beziehungen zu den Universitäten. Nehmen wir einen Journalisten, der einen Bericht über Südostasien oder Afrika oder was auch immer schreibt. Es ist recht wahrscheinlich, dass er sich an eine der großen Universitäten wenden wird, um sich dort bei einem Experten kundig zu machen, oder er kann mit seinen Fragen zu einer Stiftung oder einem Institut gehen und sie werden ihm dann die richtigen Stichworte geben. Die Funktionsweise solcher Institutionen ist der der Medien sehr ähnlich.

Universitäten, Institute und Verbände
So sind zum Beispiel die Universitäten keineswegs unabhängige Institutionen. Man findet in ihnen zwar hier und da unabhängig gesinnte Geister, aber das gilt auch für die Medien. Solche Leute gibt es im allgemeinen auch in den Großunternehmen, ja, sogar in faschistischen Staaten. Aber die Universitäten sind letztlich „parasitäre“ Institutionen. Sie sind auf Finanzierung von außen angewiesen, und die Quellen dieser Unterstützung sind reiche Mäzene, Großunternehmen und Staat (die beide so eng miteinander verflochten sind, dass man sie kaum auseinanderhalten kann) – stecken im wesentlichen den Rahmen ab, innerhalb dessen die Universitäten operieren. Wer sich der internen Struktur der Universitäten nicht anpasst, sie nicht in dem für eine reibungsfreie Arbeit innerhalb des Systems notwendigen Maß akzeptiert und internalisiert, wird im Verlauf von Erziehung und Ausbildung mehr und mehr aus dem System hinausgedrängt, ein Prozess, der letztlich schon im Kindergarten beginnt und dann ununterbrochen weitergeht.

Redakteure und Journalisten
Wenn man Medienkritik betreibt und sich zum Beispiel mit dem beschäftigt, was ein Journalist geschrieben hat, werden die jeweiligen Leute oft sehr wütend. Sie sagen dann ganz richtig: „Niemand sagt mir jemals, was ich zu schreiben habe. Ich schreibe alles, was ich will. Dieses ganze Geschwätz über Druck und Einschränkungen ist Unfug, weil keiner je irgendwelchen Druck auf mich ausübt“.

Und das ist völlig richtig, nur dass es hier um etwas ganz anderes geht, nämlich um die Tatsache, dass sie ihre Position gar nicht inne hätten, wenn sie nicht vorher schon unter Beweis gestellt hätten, dass niemand ihnen sagen muss, was sie schreiben sollen. Es ist längst klar, dass sie das genau wissen. Wenn sie sich als angehende Reporter für die verkehrte Art von Geschichten interessiert hätten, hätten sie es nie zu Positionen gebracht, in denen sie sagen können, was sie wollen. Dasselbe gilt weitgehend auch für die Universitätsdozenten in den stärker ideologisch gefärbten Fächern. Sie haben eine erfolgreiche Sozialisation hinter sich.

Der Leser als Produkt
Als erstes sieht man sich also die Struktur des gesamten Systems an. Was erwartet man angesichts dieser Struktur als Resultat? Das ist eigentlich recht offensichtlich. Ein Zeitungsverlag ist ein Großunternehmen, das ein Produkt verkauft. Das Produkt sind die Leser. Das Unternehmen verdient sein Geld nicht mit dem Verkauf seiner Zeitung. Die Zeitung selbst wird sogar noch oft kostenlos ins Internet gesetzt. Tatsächlich verliert das Unternehmen beim Verkauf der Zeitung sogar Geld. Wie auch immer, die Leser sind das Produkt, und sie gehören genau wie die Leute, die die Zeitung machen, zu den höheren, privilegierten Schichten, denen, die in unserer Gesellschaft die Entscheidungen treffen. Für ein Produkt braucht man einen Markt, und dieser Markt sind natürlich die Werbekunden der Zeitung, mit anderen Worten, andere Wirtschaftsunternehmen. Das Produkt der Medien, ganz gleich, ob wir vom Fernsehen, den Zeitungen oder anderen Medien sprechen, ist immer das jeweilige Publikum. Unternehmen verkaufen ihr jeweiliges Publikum an andere Unternehmen. Und im Fall der Elitemedien handelt es sich dabei um Großunternehmen.

Die nächstliegende Vermutung ist dann, dass das Medienprodukt, das heißt, die Auswahl dessen, was in den Medien vorkommt und wie es vorkommt, die Interessen der Käufer und der Verkäufer des Produkts sowie der Institutionen und Machtzentren, unter deren Einfluss sie stehen, widerspiegelt. Es würde an ein Wunder grenzen, wenn das nicht der Fall wäre.

Danach kommt dann der aufwendige Teil der Arbeit. Stellen sich die gemachten Vorhersagen als richtig heraus? Das lässt sich mittlerweile überprüfen. Es liegt inzwischen eine Menge an Material zur Beurteilung der genannten naheliegenden Hypothese vor; sie ist den rigorosesten Tests unterzogen worden, die man sich denken kann, und hat sie in bemerkenswerter Weise bestanden. Man stößt in den Sozialwissenschaften fast nie auf Resultate, die eine bestimmte Vermutung derart stark unterstützen, aber das ist auch nicht sehr überraschend, da alles andere angesichts der in diesem Fall wirksamen Kräfte einem Wunder gleichkäme.

Tabuisierung der Struktur
Als nächstes entdeckt man dann, dass das gesamte Thema vollkommen tabu ist. Wenn man zum Beispiel Journalismus, Kommunikationswissenschaft oder Politik studiert, ist es kaum wahrscheinlich, dass man mit diesen Fragen konfrontiert wird.

Warum sollte es Leuten, die aktiver Bestandteil dieser Strukturen sind, gefallen, wenn ihre Rolle innerhalb dieser Strukturen sichtbar gemacht wird? Warum sollten sie eine kritische Analyse ihrer Vorstellungen und Ziele dulden? Es gibt keinen Grund, warum sie etwas derartiges zulassen sollten, und sie tun es auch nicht. Auch in diesem Fall handelt es sich nicht um absichtliche Zensur, sondern darum, dass diese Leute gar nicht erst in ihre Positionen gelangen würden, wenn sie nicht von dem überzeugt wären, was sie tun. Und das gilt für die sogenannte Linke ebenso wie für die Rechte. Um es in diesem System zu etwas bringen zu können, muss man die richtige Sozialisation und Erziehung genossen haben, die dann falschen Gedanken und Ideen einen Riegel vorschieben.

Kommt in dem, was die Topmanager des Informationssystems (der Medien, der Werbeindustrie, der politischen Wissenschaft usw.) sagen, wenn sie zu ihresgleichen sprechen, eine Vorstellung darüber zum Ausdruck, wie das System funktionieren sollte? In der Öffentlichkeit, bei akademischen Feiern und dergleichen mehr ist natürlich immer von allen möglichen wunderbaren Dingen die Rede. Aber was sagen diese Leute über die Aufgaben des Informationssystems, wenn sie unter sich sind?

Es gibt hier drei wichtige Bestandteile des Systems, die man sich ansehen sollte. Erstens haben wir die Public-Relations- Industrie, das heißt, die Propagandamaschine der Geschäftswelt. Was sagen also die Topmanager der PR-Industrie? Zweitens sollten wir uns ansehen, was die sogenannten „in der Öffentlichkeit stehenden“ Intellektuellen, die großen Denker, die Verfasser der Meinungsseiten in den Zeitungen sagen – all die Leute, die hochbedeutende Bücher über das Wesen der Demokratie und ähnliches mehr schreiben? Als Drittes sollte man den akademischen Bereich untersuchen, besonders diejenigen Aspekte der Kommunikations- und Informationswissenschaften, die schon seit etwa 70 bis 80 Jahren integraler Bestandteil der Politikwissenschaft sind.

Konsensfabrik
Das sind also die drei Bereiche, in denen man darauf achten sollte, was die führenden Leute schreiben: Die PR-Berater, die Chefredakteure und Publizisten sowie die Wissenschaftler; allen voran sind es die Kommunikations-, Medien- und Politikwissenschaftler. Wie man dann feststellt, sagen die wichtigen Leute in diesen Bereichen alle im wesentlichen das gleiche: „Bei der Masse der Bevölkerung handelt es sich nur um „unwissende und lästige Außenseiter“, die man aus der öffentlichen Arena heraus halten muß, weil sie zu dumm sind und nur Schwierigkeiten machen, wenn sie sich daran beteiligten. Die gewöhnlichen Leute sollen „Zuschauer“ nicht „Teilnehmer“ sein.“ Dies sagte vor vielen Jahren der Begründer der kommunikationstheoretisch orientierten Politikwissenschaft, Harold Lasswell in seinem wichtigsten Werk, einer Studie über Propaganda in der Encyclopedia of Social Sciences, auf die sich heute noch die gesamte politische Public Relation – also die Propaganda stützt.

Ein weiterer wichtiger Journalist und Autor Walter Lippman schieb neben seiner journalistischen Tätigkeit Essays über die Demokratie, die noch immer Gültigkeit haben. In diesen Essays sprach auch er sich explizit dafür aus, die Erfahrungen anzuwenden, die mit Propaganda gesammelt worden waren. Er sagte: „Die Demokratie hat eine neue Kunst hervorgebracht, die Fabrikation von Konsens“. Ihm zufolge gibt es jetzt diese neue Kunst demokratischen Regierens, nämlich die „Fabrikation von Konsens“. Durch die Fabrikation von Konsens kann man die Tatsache neutralisieren, dass viele Menschen ein formales Wahlrecht genießen. Die politischen Führer können letzterem jede Bedeutung nehmen, da sie ja in der Lage sind, Konsens zu fabrizieren und so die Wahlmöglichkeiten und Einstellungen der Menschen derart zu beschränken, dass sie letztlich immer nur gehorsam tun werden, was man ihnen sagt, obwohl sie formal, z. B. über die Wahlen, selbst am System teilhaben. So sieht laut Lippmann eine echte Demokratie aus, die funktioniert, wie es sich gehört. Das ist die Lehre, die er aus den bisherigen Erfahrungen mit Propaganda zieht.

Lehre unter Voraussetzung einer Ideologie
Das ist die ideologische Seite der Sache. Und sie weist in dieselbe Richtung wie die institutionelle Struktur. Sie stützt alle bisherigen Voraussagen darüber, wie das Ganze funktionieren sollte. Und die Korrektheit dieser Vorhersagen ist gut dokumentiert. Über die ideologischen Grundlagen unseres Informationssystems darf nicht diskutiert werden. Das alles taucht zwar in der Standardliteratur zum Thema auf, ist aber nur für die Insider bestimmt.

Anders, als oft unterstellt wird, stehen klassischen Werke darüber, wie man das Denken der Menschen kontrolliert, in den Universitäten und Hochschulen nicht auf dem Lehrplan.

Sie müssen nicht auf dem Lehrplan stehen, da alle Stundenten in das gleiche System hineingehen, indem ihre Professoren schon stecken. Und sie würden dort nicht studieren oder aufgenommen werden, wenn sie nicht schon so fest in dieser Ideologie der Konsensfabrik verankert wären, auf der auch die Hochschulen und Universitäten aufgebaut sind.

(Zwischen)-Fazit
Das ist im großen und ganzen das Bild, das ich von der institutionellen Struktur unseres „freien“ Mediensystems, von den dahinterstehenden Doktrinen und seinem Endprodukt habe. Ein weiterer Teil des Systems richtet sich an die „unwissenden, lästigen“ Außenseiter. Dabei geht es hauptsächlich darum, auf die ein oder andere Art von den wirklich wichtigen Themen abzulenken. Von daher lässt sich leicht vorhersagen, was das wahrscheinliche Ergebnis ist.

Und dort leistet das Internet eine herausragende und hervorragende Arbeit. Hier geht es nicht um politische Diskussionen, nicht darum, ob jemand „links“ ist, oder „rechts“, nicht um „gebildet“ oder „ungebildet“, Meinungsbildner ist oder Mittler, genau so wenig, wie es auch bei den alten Medien darum geht und die nur dies in ihren Mediadaten veröffentlichen, sondern es geht um die Konsensfabrik. Eine Fabrik, die tagtäglich analysiert, strukturiert und neu formiert.

Was im Einzelfall – im kleinsten Punkt  – wahr ist und was nicht, erfahren weder die Journalisten, noch die Redakteure. Und vor allem erfahren wir es nicht, denn es gibt niemanden, der es uns berichten kann. Die einzige Möglichkeit, die ein Volk hat, liegt in einer Konsensverweigerung. Diese aber würde an den Grundfesten einer Gesellschaft rütteln.

Letztendlich kann auch dieser Text (und können die folgenden) nur eine Idee des Istzustands aus Unwissenheit sein. Wichtig ist jedoch, denke ich, sich niemals auf Unterscheidungen einzulassen, wie sie in Mediadaten veröffentlicht werden. Wir können uns nur gegen eine DPR innerhalb einer Demokratie, eine Propaganda wehren, wenn wir nicht in Kategorien wie gebildet oder ungebildet, Meinungsmacher, Mittler oder Führungspersönlichkeit denken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

März 24, 2011 / unbeschirmt

Demokratie und Public Relation (Teil 1)

Unser allgemeiner Demokratiebegriff beinhaltet eine möglichst große Beteiligung der Öffentlichkeit an den Entscheidungsprozessen und einen freien Zugang zur Information. So in etwa steht es auch in den meisten Lexika.

Die tatsächlich vorherrschende Konzeption meint, das Volk müsse von den Entscheidungsprozessen ferngehalten werden und der Zugang zu Informationen eingeschränkt und kontrolliert werden. Tatsächlich ist Demokratie nicht durch irgendwelche Versäumnisse und Fehler so geworden, sie ist auch theoretisch so gewollt. Dies geht bis zu den ersten modernen demokratischen Revolutionen im England des 17.Jahrhunderts zurück, in denen diese Konzeption weitgehend zum Ausdruck kommt. Eine Demokratievorstellung, mit der auch eine Desinformation verbunden ist und aus der sich u. a. die moderne Propaganda entwickelte..

 

Die Gedanken auf der ganzen Welt kontrollieren

Moderne Propaganda ist eine amerikanische Erfindung und sie wurde erstmalig zur Mitte des ersten Weltkrieges benutzt, um die starke pazifistische Bewegung des amerikanischen Volkes, das sich nicht an einem Krieg in Europa beteiligen wollte, angewandt.

Da die Wilson Regierung sich aber schon zum Kriegseintritt entschlossen hatte, musste etwas getan werden. Sie konstituierten einen Regierungsausschuss für Propaganda, die Creel Commission, und die schaffte es innerhalb von sechs Monaten, eine pazifistisch gesinnte Bevölkerung in eine hysterisch nach Krieg rufende Bevölkerung umzuwandeln, die alles Deutsche zerstören, jeden einzelnen in der Luft zerreißen, in den Krieg ziehen und die Welt retten wollte.

Gleichzeitig und nach dem Krieg wurde mit denselben Techniken die „rote Gefahr“ an die Wohnzimmerwände gemalt. Diese erwies sich als sehr hilfreich an der Beseitigung der gefährlichen Pressefreiheit und Meinungsfreiheit. Es gab von Seiten der Medien große Unterstützung und auch von der Wirtschaft, die in Wirklichkeit einen Großteil dieser Arbeit organisierte und forcierte.

Die Mittel derer sie sich bedienten, waren vielfältig. Ein Beispiel: es gab sehr gut konstruierte Gräueltaten der Hunnen, belgische Babies, denen die Arme ausgerissen wurden, und allerhand grässliche Dinge, die man heute noch in den Geschichtsbüchern lesen kann. All das wurde vom britischen Propagandaministerium erfunden, dessen eigene Verpflichtung, wie es geheime Aufzeichnungen belegen, es damals war, „die Gedanken auf der ganzen Welt zu kontrollieren.“ Noch spezieller, sie wollten die Gedanken der intelligenteren Teile der Gemeinschaft in den USA kontrollieren, damit diese die Propaganda verbreiten, sich zusammenschlossen und eine pazifistische Bevölkerung in eine kriegslüsterne verwandeln. Das funktionierte. Es funktionierte sogar sehr gut. Und daraus zog man die Lehre, das staatliche Propaganda, wenn sie von den gebildeten Schichten unterstützt und wenn keinerlei abweichende Meinung erlaubt wird, eine große Wirkung haben kann. Dieses Lehrstück haben sich Hitler und viele andere angeeignet, und es wurde bis zum heutigen Tag weiterentwickelt.

Und immer ist es der intelligente Teil der Bevölkerung bzw. der Teil, der sich für intelligent hält, an den die Propaganda sich richtet.

 

Die ausgewählten Intellektuellen

Eine andere Gruppe die von diesem Erfolg sehr beeindruckt war, waren die Medien bestimmenden liberalen Theoretiker, wie beispielsweise Walter Lippmann, das Paradepferd amerikanischen Journalismus, bedeutender Kritiker der US-amerikanischen Innen- und Außenpolitik und einer der bedeutendsten liberalen Theoretiker.

Er meinte, dass diese „Revolution in der Kunst der Demokratie“ dazu benutzt werden könne, Konsens zu schaffen; d.h. mit den neuen Mitteln der Technik die Zustimmung der Bevölkerung für Dinge zu erreichen, die sie eigentlich ablehnten.

Er hielt dies nicht nur für eine gute Idee, sondern für schlicht notwendig aufgrund der Tatsache, dass die öffentlichen Interessen sich der öffentlichen Meinung gänzlich entziehen und allein durch eine qualifizierte verantwortliche Schicht verstanden und umgesetzt werden können. Diese Theorie behauptet also, dass nur eine kleine Elite – die ausgewählten Intellektuellen – die öffentlichen Interessen feststellen kann, da sie sich der öffentlichen Meinung entziehen. Diese Auffassung stammt aus dem davorliegenden Jahrhundert.

Es ist zudem aber auch typisch leninistisch gedacht, dass sich öffentliche Interessen der öffentlichen Meinung entziehen, wenn man an das Konzept der Avantgarde denkt, nach der die „stumpfe Masse“ zu ihrem Glück geführt werden müsse, weil sie selber viel zu dumm und unqualifiziert ist, dies selber zu können.
So haben der Liberalismus und der Marxismus/Leninismus sehr viele Gemeinsamkeiten in ihren ideologischen Grundannahmen von einer kleinen intelligenten Bürgerschicht, die manipuliert werden muss, damit der anderen Schicht, den Stumpfen, Dummen, Unbeweglichen Regeln und Gesetze vorgeworfen werden können.

In einer gut funktionierenden Demokratie gibt es verschiedene Klassen von Bürgern. Zum einen die Klasse, die in der Verwaltung der öffentlichen Belange eine aktive Rolle innehaben, dies ist die Elite. Es sind die Leute, die Entscheidungen analysieren, treffen und ausführen und die Abläufe des politischen, ökonomischen und ideologischen Systems bestimmen. Sie machen aber nur einen kleinen Prozentsatz der Bevölkerung aus. Jeder, der diese Idee weiterentwickelt, ist natürlich Teil dieser kleinen Gruppe, die darüber diskutiert, wie mit den Anderen umzugehen ist. Diese Anderen, die nicht zur Elite gehören, der größte Teil der Bevölkerung, sind die „wilde Herde“, vor der sich eine Demokratie schützen muss, bevor eine Stampede losgetreten wird.

 

Die Funktionen in einer Demokratie

Es gibt zwei Funktionen in einer Demokratie: Die Elite, die Verantwortlichen, haben die Exekutive, d.h. sie vertreten die öffentlichen Interessen, übernehmen das Denken und die Planung. Und dann gibt es die wilde Herde, die ebenfalls eine Funktion in einer Demokratie hat. Ihre Funktion ist die des Zuschauers, nicht des Teilnehmers an den Handlungen. Aber weil es eine Demokratie ist, haben sie noch mehr als diese Funktion: ab und zu dürfen sie ihr Gewicht dem einen oder anderen Angehörigen der Elite in die Waagschale werfen. Mit anderen Worten, sie dürfen „Wir wollen Dich als Führer“ oder „Wir wollen „Dich“ als Führer“ sagen. Das ist der Unterschied zwischen einer Demokratie und einem totalitären Staat. Dies wird Wahl genannt. Haben sie sich für den einen oder anderen der Elite ausgesprochen, wird von ihnen erwartet, dass sie wieder Zuschauer, keinesfalls Aktivisten werden. So läuft das in einer gut funktionierenden Demokratie.

Und dies hat sogar etwas von moralischer Verpflichtung. Eine moralische Verpflichtung, die aus der Unfähigkeit der großen Masse resultiert, ihre Geschichte selbst in die Hand zu nehmen. Wenn sie an den Entscheidungen beteiligt wäre, würde sie sich nur ins Unglück stürzen. Deshalb wäre es unmoralisch und unverantwortlich, dies zuzulassen. Es ist genau dieselbe Logik, die einem verbietet, einen Dreijährigen über die Strasse rennen zu lassen. Niemand gibt einem Dreijährigen diese Freiheit, weil er damit nicht umgehen kann. Entsprechend wird eine Partizipation der wilden Herde nicht zugelassen. Es gibt nur Unglück. Und tatsächlich bestätigt diese „dumpfe Masse“ diese Moral, indem sie selbst aus ihren eigenen Reihen Menschen herauspickt, die als dumm gebrandmarkt werden und als nicht allein lebensfähig. Diese, sich als kritisch und intelligent selbstdefinierten Menschen, tragen einen großes Stück dazu bei, sich selbst als Teil der stumpfen Masse unter Kontrolle zu halten.

Und doch benötigen noch wir etwas, um diese wilde Herde zu zähmen, dieses Etwas ist eine neue demokratische Revolution, die „Konsensproduktion“.

 

Die Konsensproduktion

Die Medien, die Schulen und die Kultur sollen die Konsensproduktion vorbereiten. Für die Politiker und die Entscheidungsträger soll sie einen angemessenen Realitätssinn vermitteln und einen unerschütterlichen Glauben an den moralischen Wert ihrer Funktion einflößen.

 

Hier gibt es die unausgesprochene Voraussetzung, die selbst die Verantwortlichen verdrängen. Nämlich die, wie es überhaupt möglich ist, Teil der Elite zu werden. Natürlich indem man den tatsächlich Herrschenden dient. Diese Herrschenden besitzen die Gesellschaft und sind eine sehr kleine Gruppe. Wenn die Eliten ihre Dienste anbieten, werden sie Teilhaber an der Herrschaft und bewahren Stillschweigen. Das bedeutet, dass sie den Glauben und die Doktrin dieser Herrschaft verinnerlichen. Und wenn sie diese Kunst nicht beherrschen, bleiben sie außen vor.

So haben wir ein Erziehungssystem, das auf die Verantwortlichen ausgerichtet ist. Hier müssen die Werte und Interessen des Privateigentums, die Nationalökonomie und die staatlichen Gesetze, die dieses System repräsentieren, indoktriniert werden. Der Rest der wilden Herde muss verwirrt, ihre Absichten müssen abgelenkt, sie müssen vor Unglück bewahrt werden. Und es muss sichergestellt werden, dass sie zum großen Teil Zuschauer bleiben und gelegentlich einem Vertreter der wirklichen Elite ihre Stimme geben.

Die meisten Menschen werden von Emotionen und Impulsen gelenkt. Die Elite, die meint, alleiniger über Rationalität zu verfügen, muss sich notwendige Illusionen und emotional wirksame Vereinfachungen ausdenken, um die naiven Tölpel mehr oder weniger auf Kurs zu halten. In einem totalitären Staat ist dies einfach. Nachdem aber die Gesellschaft freier und demokratischer geworden ist, ging diese Möglichkeit verloren. Deshalb müssen wir uns den Techniken der Propaganda zuwenden.

Propaganda bedeutet für eine Demokratie dasselbe wie die Knute für den Totalitarismus. Sie ist weise und gut, weil wieder einmal die öffentlichen Interessen sich der „wilden Herde“ entziehen. Sie können sie nicht entziffern.

 

Demokratische Abweichungen

Die ganze Zeit über war es Aufgabe der Public Relation, die öffentliche Meinung zu kontrollieren. In den 30er Jahren entstanden ähnlich große Probleme, wie während des ersten Weltkriegs. In den USA gab es z. B. eine große Depression und eine starke Arbeiterbewegung. 1935 errang diese einen großen Sieg, indem sie mit dem Wagner Act das Recht auf Organisierung durchsetzten.

Das schuf zwei ernsthafte Probleme: Erstens funktionierte die Demokratie nicht mehr richtig. Die wilde Horde errang auf der gesetzgeberischen Ebene Erfolge und das ist im System nicht vorgesehen. Und das andere Problem entstand durch die Möglichkeit, dass sich die Leute wirklich zu organisieren begannen.

Sie soll sich nicht organisieren, sie könnten dadurch mehr als nur Zuschauer werden. Sie könnten sogar Einfluss gewinnen, wenn sie sich zusammenschließen und gemeinsam in die politische Arena treten. Die Hauptreaktion der Wirtschaft hierauf war, sicherzustellen, dass dies der letzte Erfolg der Arbeiterbewegung auf gesetzgeberischer Ebene war und der Anfang vom Ende dieses demokratischen Irrwegs, der Organisierung der Bevölkerung.

Und es funktionierte. Es war der letzte Erfolg der Arbeiterbewegung auf der gesetzgeberischen Ebene. Das war kein Zufall. Wir sprechen jetzt über die Wirtschaft, die eine Unmenge an Geld, Aufmerksamkeit und Nachdenken aufbrachte, um diese Probleme mittels der Public Relations Industrie und anderen Organisationen, wie der National Association of Manufacturers und dem Business Roundtable in den Griff zu kriegen. Sie begaben sich sofort an die Arbeit, um einen Weg aus diesen demokratischen Abweichungen herauszufinden.

Spaltung

Die Grundidee liegt noch immer darin herauszufinden, wie man die Öffentlichkeit gegen Demonstranten oder Streikende aufbringt. Man präsentiert sie als zerstörerische und für die Allgemeinheit gefährliche Subjekte, die zu alledem noch gegen die gemeinschaftlichen Interessen verstoßen. Die „gemeinschaftlichen Interessen sind „unsere“, die des Geschäftsmanns, des Arbeiters und der Hausfrau. Das sind „wir“. Wir wollen zusammensein, wollen Harmonie und Zusammenarbeit: Und dann gibt es da draußen die miesen Wutbürger, die alles kaputt machen wollen, Ärger machen und die Harmonie stören und zu guter Letzt noch auf unsere wirtschaftlichen Erfolge spucken. Wir müssen sie aufhalten, um weiter in Harmonie zusammenleben zu können.

Das Management und der Fußbodenputzer haben die gleichen Interessen. Wir können alle zusammenarbeiten und eigenverantwortlich zu dem harmonischen Positivismus beitragen, indem jeder den anderen achtet und Hand in Hand geht, um somit auch aus diesem Positivismus einen allgemein geschätzten Patriotismus zu machen – einen Patriotismus der Demokraten und Marktwirtschaftler: Das ist im Groben die Botschaft. Diese wird allerorten verkündet. Das ging von der Wirtschaft aus, mit ihren großen Ressourcen und ihrer Kontrolle über die Massenmedien und es funktioniert ausgesprochen gut.

Es wurde früher als „Mohawk Valley-Formel“ bezeichnet und immer wieder angewandt, um Widerstand zu brechen.

 

Sie wird als „wissenschaftliche Methode des Widerstandbrechens“ angesehen, die sich deshalb so erfolgreich auswirkten, weil sie die öffentliche Meinung für so öde und leere Vorstellungen wie den Wohlstand mobilisierten. Wer kann da schon dagegen sein? Oder gegen Harmonie? Wer will sie nicht? Oder auf die heutige Zeit bezogen: „Habt euch lieb!“ Wer kann dagegen sein? Es muss also irgend etwas völlig sinnloses sein. Denn was bedeutet es eigentlich, wenn dich einer fragt: Unterstützen sie die Menschen in Libyen? Können Sie darauf antworten, dass sie sie unterstützen oder nicht unterstützen? Es ist ja nicht einmal eine wirkliche Frage. Es bedeutet nichts! Und das ist der Punkt.

Das Wichtigste an einem Public-Relation Slogan ist, dass er nichts bedeutet. Es steht immer die Frage im Hintergrund: „Unterstützen sie unsere Politik?“ Aber diese Frage darf nie öffentlich gestellt werden, sie fordert zum Nachdenken auf.

Die Menschen sollen über Unterstützung, über Solidarität und über Gerechtigkeit reden. Über Menschlichkeit und Liebe – und schon schnappt die Falle zu.

Wir gehören alle zusammen, leere Sprüche und unterhaken; weg mit den Subjekten, die diese Zusammengehörigkeit zerstören wollen, und „Klappe halten“ für die dumme Herde, die jetzt um so dümmer wirkt, wenn ihnen ihresgleichen diese leeren Parolen um die Ohren haut.

 

Das Problem „wilde Herde“

So sieht das Ideal aus. Es werden große Anstrengungen unternommen es zu erreichen. Dahinter steht natürlich ein Konzept: Die wilde Herde ist das Problem. Wir müssen ihrer Rage und der Stampede zuvorkommen. Wir müssen sie zähmen. Sie sollten Fußball oder gewalttätige Videos anschauen. Sie sollen sich lieb haben und ab und zu Parolen folgen, wie: Helft den Armen. Ab und an lässt man sie „Wir sind das Volk“ skandieren. Sie sollten in Angst gehalten werden, denn sie haben bereits Angst vor Monstern in Banken, Chefetagen und Lobbyistenbüros, die ihnen ans Leder wollen. Und sie haben inzwischen Angst vor Bilderbergern, Chemtrails und Verschwörungen von außerhalb oder auch von innen kommend; sie könnten ansonsten anfangen nachzudenken und das wäre gefährlich, weil sie dazu ja gar nicht in der Lage sind. Deshalb ist es wichtig, sie außen vor zu halten und zu marginalisieren.

Und tatsächlich halten sich viele außen vor: In social Networks, wo sie sich wohlbeobachtet und wohlgelitten austoben dürfen.

 

Verrückte Individuen

Das ist eine Konzeption von Demokratie reduziert auf die Wirtschaft.

Die Leute, die in der Lage sind, Konsens zu produzieren, sind diejenigen, die die Ressourcen und die Macht dazu haben – die Wirtschaft – und damit arbeiten sie für die.

Um die Unterstützung für außenpolitische Abenteuer zu erhalten, muss die Bevölkerung ebenfalls aufgestachelt werden. Normalerweise ist die Bevölkerung pazifistisch gesinnt und sieht keinen Grund, in außenpolitische Abenteuer sowie in die Geschäfte von Folter und Mord verstrickt zu werden. Deshalb müssen sie aufgestachelt werden und dazu muss man sie verängstigen.

PR ist laufend nötig, um den Regierungs-Haushalt gegen eine Öffentlichkeit neu durchzuboxen, die keinen Haushalt unterstützt, der von ihr Opfer verlangt. Dieses Durchboxen benötigt oft eine intensive Propaganda. Einzelne Programmpunkte wie Rüstung und der Abbau der Sozialleistungen werden fast von der gesamten Bevölkerung abgelehnt. Aber solange vor der Zeit des Internets die Menschen marginalisiert und ratlos waren, solange sie keine Möglichkeit hatten, sich zu organisieren, um ihren Interessen Ausdruck zu verleihen; solange sie nicht wussten, daß anderen ebenfalls die Sozialausgaben wichtiger waren als die militärischen, glaubten sie, die einzigen zu sein, die diese verrückten Gedanken hatten. Sie erfuhren auch nichts von solch einem Denken. Das sollte auch niemand denken. Deshalb fühlte sich jemand, der diese Gedanken hatte und ausdrückte auch sehr eigentümlich.

Widerstand und Facebook-Syndrom

Bis zu einem gewissen Grad wurde dieses Ideal erreicht, aber niemals gänzlich. Noch immer gibt es Kirchen, aus denen in der Vergangenheit viel Widerstand hervorkam. Es gibt noch immer Gewerkschaften und Verbände. Und es gibt inzwischen die sozialen Netzwerke, in denen nicht jeder Widerstand in Diskussionen verpufft.

Die Wilde Herde wurde noch niemals vollständig gezähmt, – es ist ein kontinuierlicher Kampf.

Von der Elite wird diese Zeit „die Krise der Demokratie“ genannt.  Eine Krise, die darin besteht, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung organisiert und Einfluss auf die politischen Entscheidungen zu nehmen versucht.
Hier kommen wir wieder zu den zwei verschiedenen Konzepten von Demokratie zurück: Gemäß der Lexikon-Definition wäre dies ein Fortschritt, nach der vorherrschenden Lesart ist es ein Problem, eine Krise, die überwunden werden muss. Die Bevölkerung muss in die Apathie, zum Gehorsam und zur Passivität zurückgetrieben werden, an den Platz der ihr gebührt. Dafür müssen Anstrengungen unternommen werden. Die „Krise der Demokratie“ ist zwar nicht sehr erfolgreich, was den Einfluss auf konkrete Entscheidungen anbelangt, aber mit einigem Einfluss auf die Meinungsbildung. Diese Krise der Demokratie wird heute von einigen Politikern und Wirtschaftsbossen „Facebook-Syndrom“ genannt werden können – „die krankhafte Ablehnung von politischer und wirtschaftlicher Macht“. Diese „krankhafte Ablehnung“ herrscht bei einem großen Teil der Bevölkerung vor.

Die Menschen verstehen nicht, warum Staaten folternd, mordend und Bombenteppiche legend durch die Welt ziehen sollen, warum sie Zeitbomben überall auf der Welt platzieren und warum sie arme Völker ausbeuten und mit deren Lebensmitteln ihre Autos betanken sollen.. Schon Goebbels verstand, dass es für eine Bevölkerung sehr gefährlich werden kann, von diesen krankhaften Anwandlungen befallen zu sein, da es die Aktionsmöglichkeiten im Ausland einschränkt. Wenn man eine gewalttätige Gesellschaft wünscht, die in der Welt auch Gewalt anwendet, um die Ziele ihrer herrschenden Elite zu erreichen, ist es auch notwendig, die kriegerischen Wertvorstellungen entsprechend zu würdigen und nicht diesen krankhaften Anwandlungen über den Gebrauch von Gewalt nachzuhängen. Und diese kriegerischen Gedanken lassen sich leicht auf ökonomische und im ökonomischen Sinne demokratische übertragen.

 

Immer wieder Monster

Geschichtsklitterung ist ebenfalls notwendig. Sie ist eine weitere Methode, diese krankhaften Anwandlungen zu kurieren; wenn wir angreifen und jemand zerstören, muss es immer so aussehen, dass wir uns in Wirklichkeit nur verteidigen und uns selbst vor einem mächtigen Aggressor, gegen ein Monster etc. schützen. Diese Monster sind hier die Kommunisten, dort die Banker, mal die Dissertationsfälscher und auch mal die Theisten oder die Atheisten.

Hauptsache ist, dass es historisch schon immer da gewesene Monster sind, denn die Geschichte lehrt uns ja – was?

Schlechte Gedanken müssen der Einsicht weichen, dass alles, was vom Volk ausgeht, von edler Natur und rechtens ist. Jedoch nicht das von jenem Biertrinkenden und Bildzeitungslesenden Teil der  stumpfen Masse, sondern von den selbstständig und eigenverantwortlich Handelnden.

Aktivitäten, Initiativen, Selbsthilfe, auch politisches Engagement, wie das Schreiben und verlinken von Petitionen über Facebook, sind edel und gut und kann auch in historischen Maßstäben standhalten. Suppenküchen waren schon immer gut. Und immer schon gab es Suppenküchenbetreiber und Suppenküchenbettler.

Die Intellektuellen um Kennedy nannten den Vietnamkrieg „die Verteidigung gegen die internationale Aggression in Süd-Vietnam“. Das waren zumindest die Worte, die Adlai Stevenson benutzte. Dies galt es zum offiziellen und allgemein verstandenen Bild zu machen. Das klappt auch heute ganz gut umgesetzt auf eine nationale Aggression. Selbsthilfegruppen und Eigenverantwortung gelten der Verteidigung gegen die Aggressionen innerhalb der stumpfen Masse. Wenn man die völlige Kontrolle über die Medien und das Erziehungswesen hat, ist dies einfach rüberzubringen. Alles ist edel und gut, nur darf es nicht an dem Schichtensystem der Demokratie kratzen. Ganz unten ruft man die Supernanny, die Mitte schaut sich das an und die guten der stumpfen Masse rümpfen die Nase.
Wichtig für die Elite des Staates ist nur, dass es so bleibt. Und so freut sich diese Elite über eine steigende Zahl von Coaches, die innerhalb der stumpfen Masse aktiv sind und lassen sie in den intellektuelleren Medien und Fachmagazinen hochleben, wie sie auch wohlwollend auf außerparlamentarische Organisationen herunterschauen, solange diese ihnen nicht gefährlich werden können. Und sie haben auch effektive Kontrollelemente, wie soziale Netzwerke, Blogs oder Online-Petitionen.

Die Skepsis hat zugenommen

Jeder, der sich aktiv an Aktionen beteiligt, sich in Selbsthilfe- oder politischen Gruppen engagiert, sollte sich darüber im Klaren sein, evtl. das Werkzeug einer Propaganda zu sein.

Jeder, der jahrelang in diesen Bewegungen aktiv war, sollte sich darüber im Klaren sein.

 

Ich bin mir bewusst, dass ich heute in den reaktionärsten Ecken des Landes Diskussionen führen kann, die ich zu Hochzeiten der Friedensbewegung oder des Arbeitskampfes unter den Aktivisten noch nicht hätte führen können. Die Leute mögen mit mir übereinstimmen oder nicht, sie wissen zumindest, worum es geht und das ist der Boden auf dem man aufbauen kann.

Das sind alles Anzeichen einer Zivilisierung, trotz all der Propaganda, trotz all der Anstrengungen zur Meinungskontrolle und der Konsensproduktion. Nichtsdestotrotz verschafft sich die Bevölkerung die Möglichkeit und hat auch den Willen die Dinge selbst durchzudenken. Die Skepsis gegenüber Herrschaft hat zugenommen und die Haltung zu vielen, vielen Problemen hat sich verändert. Es geht langsam, vielleicht so langsam wie ein Gletscher, aber es ist wahrnehmbar und wichtig. Ob es schnell genug ist, die Weltpolitik zu verändern, ist eine andere Frage. Um es an einem Beispiel deutlich zu machen, nehme man nur den „Geschlechterkampf“.

 

Noch mehr Monster

Aber immer müssen wir uns vor einer Gala neuer Feindbilder schützen und uns endlich eingestehen, ein Teil dieser, von der Elite als stumpfe Masse bezeichneten, Gruppe zu sein.

Ob wir uns selbst so sehen, oder nicht, ist dabei völlig egal, da kaum jemand von uns die Chance hat oder nutzen möchte, zu dieser Elite zu gehören.

Wir sollen verängstigt, eingeschüchtert und kurzsichtig gemacht werden. Und als Angriffspunkt bietet sich immer der „klügere“ der „doofen“ gerne selbst an, indem er sich über die anderen setzt und den Helfern der Elite, den Meinungsforschern, PR-Beratern und Statistikern per Handzeichen zu erkennen gibt. Der „klügere“ gibt sich als informiert und kritisch, ist Realist und Rationalist – er erklärt sich zu jemandem, der schon in der Realität der Elite gefangen ist und diese Realität gerne vermitteln möchte, um sich einen guten Platz als Kluger und Doofen innerhalb der stumpfen Masse zu sichern.

Er lebt innerhalb einer Ideologie, die immer neue Monster schafft. Ob diese nun real sind, oder nicht. Was interessiert es die Elite? Ob dieser „nützliche Idiot“ nun an Chemtrails glaubt und sie verurteilt, oder einen Banker, der Milliarden Euro in den Sand setzt. Dem Demokratiegebilde der Elite ist es nicht abträglich, solange die Schichten bestehen bleiben.

Ob ein Mitglied der stumpfen Masse nun Bild liest, oder die TAZ, was juckt die Elite dieser Nebenschauplatz?

Für ihn sind es nur selektive Wahrnehmungen und Selbstdefinitionen innerhalb einer Masse, aus denen hin und wieder Köpfe hervorschauen, die entweder genutzt oder benutzt werden können, wenn sie eine statistische Relevanz erreichen.

 

Dezember 10, 2010 / unbeschirmt

Angela Merkels Neujahrsansprache 2011 schon jetzt im Netz

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

ich wünsche Ihnen und Ihren Familien für das neue Jahr 2011 Gesundheit und Zufriedenheit. Bereits zum sechsten Mal darf ich Ihnen diesen Wunsch an einem Silvesterabend übermitteln. Doch heute ist für mich kein Silvesterabend wie jeder andere. Denn der heutige Abend weckt bei mir unmittelbare Erinnerungen. Erinnerungen an meine Herkunft und wie es war, in einem totalitären Staat aufzuwachsen. Dieses Leben hat mich geprägt, mich totalitär gemacht und unnahbar.

Deswegen möchte ich Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, fragen: wollen Sie werden wie ich?

Meine Minister, meine Partei, Sie als meine Wähler und ich werden im kommenden Jahr alles Menschenmögliche tun, um Sie vor diesem Schicksal zu bewahren. Und immer wieder erkennen wir – auch nach den Vorfällen mit und durch Wikileaks im vergangenen Jahr – wie wichtig die freie Rede ist.
So werden wir schon in diesem Monat beginnen, in allen Städten und Dörfern unseres Heimatlandes Kabinen zur freien Rede aufzustellen.
Diese Freiredekabinen werden ein leuchtendes Beispiel für Freiheit sein. Wieder einmal setzen wir globale Impulse.
Um Äußerungen, die sich gegen die Freiheit und Ordnung unseres Landes richteten, zu verhindern, mussten sie bisher untersagt werden. Notfalls mit Polizeigewalt, wie wir in Stuttgart zu unser aller Leidwesen erlebt hatten. Es war jedoch nie unsere Absicht, das Recht auf freie Meinungsäußerung auf ewig einzuschränken, und in letzter Zeit wurde immer öfter gefragt – es wurden sogar Petitionen gestellt, ob es nicht in naher Zukunft möglich wäre, den nächsten großen Schritt zu wagen.

Jetzt ist es soweit!

Ab Januar können die ersten Menschen in ausgewählten Städten, der etwas mitzuteilen hat, auch wenn es sich um Kritik oder üble Nachrede gegen die Regierung handelt, dies in einer der neuen Freiredekabinen tun.
Betreten Sie diese schallisolierten Kabinen jeweils allein und sagen Sie, was immer Sie sagen wollen. Nun kann sich wirklich niemand mehr beklagen, es gebe keine Redefreiheit.
Aufrührerische Reden jedoch, die außerhalb dieser Kabinen geäußert werden, müssen wir leider auf die gewohnte Weise ahnden.

Ein weiterer wichtiger Fortschritt, den wir zu Beginn dieses Jahres in Angriff nehmen möchten, wurde von der Gattin unseres hoch geschätzten Verteidigungsministers initiiert.
Hier handelt es sich um das Präventivmaßnahmengesetz.

Fortschritte in der Computertechnik und bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz machen inzwischen Vorhersagen möglich, wer in naher Zukunft welche Art von Verbrechen verüben wird. Diese Menschen werden als Teile eines willkürlichen Auswahlverfahrens oder aufgrund eines spezifischen Verdachts einem Test unterzogen werden. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass sich der Volkssender RTL bereitgefunden hat, uns dabei seine volle Unterstützung zuzusichern. Wer anhand von Aufnahmen, die ab jetzt durch in Fernseher installierte Kameras, als zukünftiger Krimineller identifiziert wird, erhält eine prophylaktische Bestrafung.

Auch in Bezug auf die Entwicklungshilfe haben wir uns zu bahnbrechenden Veränderungen durchgerungen. Wir haben beschlossen, einen großen Teil unserer Steuereinnahmen für die Verbesserung des Lebensstandards der Dritten Welt zu verwenden. Wir haben eine Beraterfirma beauftragt, uns Programme zur Durchführung dieser Hilfe zu entwickeln, die vor allem die Geburtenkontrolle in den Drittländern berücksichtigen soll. Bis zum Juni dieses Jahres werden wir unter zwei Vorschlägen ausgewählt haben.
Der erste Vorschlag beinhaltet keine Geburtenkontrolle. Dies hat zur Folge, dass die Zahl der Menschen in den Drittländern während der vorerst geplanten Unterstützung um 50% steigen wird und sich der Lebensqualitätsindex dieser Menschen von 2,4 auf 3,2 verbessern würde. Der zweite Vorschlag beinhaltet auch eine fakultative Geburtenkontrolle, die dafür sorgen würde, dass die Bevölkerungszahl konstant bliebe, der durchschnittliche Lebensqualitätsindex jedoch auf 4,0 anstiege.
Unser Koalitionspartner ist bereits in Verhandlungen mit der Firma Fromms, die uns bei dem zweiten Vorschlag unterstützen würde.

Und nun lassen Sie mich bitte noch ein paar Worte zu unserer Bildungspolitik verlieren.
Unser Forschungsministerium hat das Frauenhofer-Institut sowie einige Schulbuchverleger beauftragt, einen Bildungschip zu entwickeln. Dieser Hochgeschwindigkeitschip kann Kindern schon kurz nach der Geburt implantiert werden und liefert, wie uns Testergebnisse bewiesen, sofort die gewünschten Ergebnisse. Die Testpersonen, alles Kinder aus sozial schwachen Familien, waren sofort über das Internet mit einer enzyklopädischen Datenbank verbunden und konnten auch später nicht mehr unterscheiden, ob sie das Wissen selbst erlernt hatten, oder woran sie sich erinnerten. Dies wird uns einen großen Schritt voranbringen im globalen Wettbewerb.

Als letztes, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger möchte ich nun noch auf die Armut in unserem Lande zu sprechen kommen. Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger:
Es gibt eine gerechte Ungerechtigkeit.
Es können nicht alle Menschen gleich behandelt werden.

Die Opposition möchte, dass wir jedem Menschen unseres Landes den gleichen Betrag Geldes zur Verfügung stellen. Doch wir haben uns entschlossen, das von unseren Wirtschafts- und Finanzministerium erdachten „Nimm drei – Zahl zwei“-Prinzip anzuwenden. Jeder, meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger erhält ab sofort monatliche Sachleistungen. Nur leider sind wir vom Import abhängig. Nach langen Verhandlungen mit unseren russischen, japanischen und amerikanischen Freunden haben wir das Angebot erhalten, bei der Bestellung von zwei statt einer Million Liter Öl aus Russland, eintausend japanische Autos kostenlos zu erhalten. Bei zweitausend georderten Fahrzeugen aus Japan erhalten wir eine Million Liter Öl aus Russland. Diese Waren werden wir an Bedürftige unseres Landes weiterreichen. Auch Sie selbst können mithelfen. So versprach uns der amerikanische Präsident, dass bei dem Kauf amerikanischer Besitzurkunden und Anleihen, Bauunternehmer der Vereinigten Staaten bereit sind, leerstehende Häuser gleich mitzuschicken. So liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger wird bald jeder in diesem Land mindestens ein Auto und ein Eigenheim besitzen und sich in Freiheit über unsere Straßen bewegen können.

Wir sehen blühenden Landschaften entgegen.

 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Die Kraft der Freiheit und die Erfahrung des Miteinanders, 60 Jahre Grundgesetz und 20 Jahre wiedervereintes Deutschland – das zeigt: Unser Land hat schon ganz andere Herausforderungen bewältigt. Deshalb können wir auch die Herausforderungen unserer Generation meistern.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Familien ein erfülltes, ein glückliches und ein gesegnetes Jahr 2011.

 

(unter Mithilfe Julian Bagginis Gedankenspiele)

 

November 30, 2010 / unbeschirmt

Bist du links?

Wie sollte ich nicht?
Auf die Frage, warum ich denn politisch links stehe, kann ich nur mit einer Gegenfrage antworten: Wie sollte ich nicht? Mit welcher Blindheit, welcher Taubheit, welcher engstirnigen Ideologie müsste ich geschlagen sein, um mich vom Interesse für das alles entscheidende Thema, dem Menschen, abzuhalten?
Aber was ist eigentlich für mich links?
Heute treffe ich immer öfter auf Menschen, denen es durch Hartz IV, durch Globalisierung und durch Banker, Manager und Politiker, die der Pubertät noch nicht entwachsen scheinen, wirklich schlecht geht. Und es ist das gute Recht dieser Menschen, sich dagegen zu wehren.
Und doch frage ich mich bei einigen, wo diese wohl stünden, wenn es ihnen plötzlich besser ginge. Ich mag diese Frage „which side are you on“ nicht – die klingt mir zu stark nach Krieg.
Aber ich stelle mir selbst immer wieder diese Frage. Selbstreflexion mache ich immer mit mir aus. Und ich stelle diese Frage immer, weil ich Antworten suche, was eigentlich links bedeutet und was diese Behauptung links zu sein für Konsequenzen fordert.

Zum einen verlangt es von mir, möglichst gründlich die Natur von Macht, Unterdrückung, Terror und Zerstörung in unserer eigenen Gesellschaft zu verstehen. Dazu gehören die Institutionen der Staatsgewalt, wie auch die Institutionen der Industriegesellschaft und der Globalisierung. Und wenn diese Institutionen mit Äußerungen, sie würden sich an die Gesetze von Demokratie und Markt halten, argumentieren und den Eindruck der Neutralität zu erwecken versuchen, dann ist das für mich ganz präzise im Hinblick auf ihre autokratische Macht zu verstehen, einschließlich der besonderen Form von autokratischer Kontrolle, die in einer Dominanz der Kräfte des Marktes in einer nicht egalitären Gesellschaft begründet liegt.
Diese Zusammenhänge müssen meiner Meinung nach nicht nur begriffen, sie müssen auch bekämpft werden. Natürlich hat dann mein Linkssein auch etwas Zerstörerisches. Wie auch nicht? Für mich kann es keinen rein nach Gesichtspunkten der Liebe gehenden Weg geben,

Denn es schiene mir wie eine Schande, eine etwas abstraktere, philosophischere Aufgabe ganz außer Acht zu lassen: das Konzept einer Natur des Menschen, das Freiheit, Würde, Kreativität und andere grundlegende menschliche Eigenschaften möglichst umfassend berücksichtigt, mit der Idee einer gesellschaftlichen Struktur zu verbinden, in der diese Eigenschaften verwirklicht werden können und ein sinnvolles, also diese Eigenschaften des Menschen berücksichtigendes Leben möglich wäre.

Sicherlich wäre es absurd, dieses Ziel bis ins Detail vorzeichnen zu wollen. Aber ich halte es für sinnvoll, sich Gedanken darüber zu machen, wohin der Weg gehen soll.

Man ist gezwungen, etwas zu tun
Aber in dem man die Vision einer freien und gerechten Gesellschaft auf der Basis gewisser Vorstellungen von der Natur des Menschen zu konstruieren versucht, steht man vor dem gleichen Problem wie bei der direkten politischen Aktion: Man ist gezwungen, etwas zu tun, weil die Probleme drängen, auch wenn man nur von einem unvollständigen Verständnis der gesellschaftlichen und menschlichen Gegebenheiten ausgehen kann.

Mal ein Beispiel: Meine eigenen politischen Aktivitäten waren vor vielen Jahren geprägt von der Arbeit im KBW. Eine Jugendsünde, die ich mit Ulla Schmidt und Reinhard Bütikofer teile. Es war die Zeit der Proteste gegen Volkszählung, gegen den Schah-Besuch, die Zeit der Hausbesetzungen, die Zeit des NATO-Doppelbeschlusses und einer wachsenden Radikalität.

Teilweise wird das als ziviler Ungehorsam bezeichnet, teilweise als illegale Handlung.
Nun ist ziviler Ungehorsam, vor allem in Betrachtung des Menschen, eine Aktivität, die gewisse Unwägbarkeiten mit sich bringt. Denn der Mensch ist ja auch im Protest kreativ. Zum Beispiel fordert er die soziale Ordnung in einer Weise heraus, der man gewisse Faschismus fördernde Aspekte unterstellen könnte.

Das sehen wir heute noch deutlicher als früher. Die Demonstrationen werden immer friedlicher, doch die Überwachung und die Repressalien nehmen zu.

Nicht zu handeln, birgt jedoch eine größere Gefahr. Tut man nichts, wird alles durchgesetzt. Das ist die politische Seite, die alle teilen werden, die sich aufgrund ihrer eigenen Nöte als links bezeichnen.

Aber auch auf dieser philosophischen Seite steht man vor Ungewissheiten, denn unser Begriff von der Natur des Menschen ist begrenzt. Zum Teil ist er gesellschaftlich bedingt, zum Teil durch persönliche Mängel und Denkbarrieren unseres Kulturkreises eingeschränkt. Man kann sich letztendlich nur immer wieder die unerreichbaren Ziele bewusst machen, um die erreichbaren verwirklichen zu können. Man muss zwar einkalkulieren, dass man manchmal völlig danebenliegen könnte und trotzdem spekulieren und Theorien auf der Basis von Halbwissen entwickeln.

Irren ist besser, als enem  Staat jegliche  Definitionsfreiheit zu überlassen
Denn sogar ein Danebenliegen ist besser, als einem Staat (welchem auch immer) die Definitionshoheit zu überlassen, was Recht und Ordnung ist. Der Staat hat zwar die Macht, seine eigene Vorstellung von Legalität durchzusetzen, aber Macht bedeutet nicht automatisch Gerechtigkeit oder auch nur Fehlerfreiheit. Der Staat könnte durchaus etwas als zivilen Ungehorsam definieren und sich dabei irren.
In Deutschland definiert man die Sitzblockaden vor Castor-Transporten als zivilen Ungehorsam, das Schottern als illegal und gewalttätig. Aber meiner Meinung nach irrt der Staat hier, weil es angemessen ist und legal dadurch, dass es getan werden muss – nicht nur durchs Recht auf Widerstand legitimiert. Das Recht auf Widerstand ist ein noch viel höher anzusetzendes Recht. Denn wenn ich als Bürger und mit mir viele andere einen Castor-Transport für illegal halten, ist er genau so illegal, wie mein Protest, den der Staat für illegal hält. Oder beides wäre legal. Es ist einfach nur eine Definitionssache. Allein, wer die Definitionshoheit hat, muss hinterfragt werden.
Letztlich ist es auch in anderen vielen Fällen sinnvoll, gegen die legalen Institutionen der Gesellschaft zu verstoßen, wenn dadurch die Quellen von Gewalt und Unterdrückung in dieser Gesellschaft bekämpft werden.
Dennoch repräsentiert das existierende Gesetz in großem Ausmaß bestimmte menschliche Werte, die anerkennenswert sind. Das Gesetz erlaubt viel von dem, was der Staat zu tun verbietet. Es muss nur richtig angewandt werden. Dann stellt sich die Frage, was z. B. radikal ist neu.

Und von daher ist es wichtig, die angemessen formulierten Bereiche der Gesetzgebung auszunutzen und dann direkt gegen die vorzugehen, die nur der Stützung des Machtsystems dienen.

Das alles ist für mich frei vom Gedanken eines Klassenkampfes, da mir nicht klar sein kann, wohin der führen würde. Auch ein terroristischer Polizeistaat wäre möglich. Es ist eher der Versuch, in „dem Ganzen“ eine Logik zu finden und den Menschen selbst in den Fokus zu rücken. Nicht irgendwelche kaum zu konkretisierende Vorstellungen von Sicherheit, Freiheit, Zukunft oder Wohlstand.
Dieses Konzept einer Natur des Menschen, auch wenn es fehlerhaft ist. Und das kann ich meiner Ansicht nach nur als Linker. Nicht als wohlstandsverliebter Gelber, nicht als zukunftsfixierter Grüner und schon gar nicht als sicherheitsbefehlender Schwarzer, sondern nur mit dem Menschen im Fokus. Und nur so weiß ich von mir, dass ich auch Links bleibe, wenn jede meiner persönlichen materiellen Nöte sich in Nichts aufgelöst haben wird.

November 5, 2010 / unbeschirmt

Das Spiel mit der Angst vor Armut

Überall hört man vor dieser Angst der Mittelschicht, arm zu werden. Das Armutsrisiko steigt hier und dort – an jeder Hausecke, in jeder Wohnung, in jeder Familie. Und immer entsteht vor uns das Bild eines Volkes, dass fast kopflos jede Arbeit annehmen möchte, nur um nicht in diese Armut zu verfallen. Ein Volk, das sich angeblich selbstverschuldet in Gehorsam spaltet und für das Solidarität ein Fremdwort geworden ist. Sind wir so, oder lassen wir uns da auch einen Bären aufbinden?

Was in dieser Diskussion immer verschwiegen wird, ist die tatsächliche Armut. Diese Armut, die vor allem Menschen in Großstädten Tag für Tag beim Einkaufsbummel sehen können, wird in unseren Hirnen immer irrealer; immer diffuser und durch diese Nicht-Greifbarkeit immer unangreifbarer. Und doch ist sie da.

Neben allem anderen, was hier an Thesen, Meinungen und Vorurteilen diskutiert wird, gibt es noch eine wichtige Seite zu betrachten. Die Öffentlichkeitsarbeit.

Niedrige Schwierigkeitsgrade des Informationsprozesses sowie ein niedriges psychophysisches Aktivitätsniveau fördern gesteuerte Kommunikationsprozesse. Das haben Betreiber von Supermärkten längst erkannt. Und auch unsere Gesellschaft scheint nun endgültig zu einem Supermarkt geworden zu sein, in dem nicht Realitäten kommuniziert werden, sondern Symbole mit Entrückungswert. Nicht die Armut steht im Angebot, sondern die Angst vor Armut. Wie in den Regalen, wo nicht Pilze verkauft werden, sondern ihr Schmoren in Butter.
Und doch ist Armut genau so real, wie der kleine unschuldige Pfifferling. Jedoch ist der Blick auf einen armen Menschen auch genau so wenig triebintensivierend, wie der Blick auf einen kleinen Pilz am Waldboden. Es sei denn, man beschäftigt sich mit diesen „Objekten“ Pilz und armer Mensch. Aber genau das soll verhindert werden. Bei dem einen Objekt durch das Symbol des Schmorens in Butter, bei dem anderen durch das Symbol der Angst vor Abstieg und Armut. Der arme Mensch wird unsichtbar. Die Angst jedoch lässt sich gut vermarkten. Nicht einmal Ekeln dürfen wir uns vor Armut, denn Ekel ist in Gesellschaften auch eine ethische Komponente, an der sie selbst den Zustand ihrer Zivilisation beurteilen kann.

Wie vor über einhundert Jahren die Schlachthöfe aus den Städten verschwanden, damit die Menschen nicht mehr Eingeweide, Sehnen und Muskeln konsumierten, also Produkte, die sie mit sich selbst, ihrem eigenen Körper, vergleichen konnten, verschwinden jetzt die Armen aus unserer Gesellschaft, damit der Bürger nicht mehr seine gepflegte Haut mit den Schrunden eines Stadtstreichers vergleichen muss und sich eventuell mit Fragen konfrontiert sieht, die dem Staat nicht gut bekommen könnten.

Das Spiel mit der Angst vor der Armut ist Katharsis, Sedativum und Intensivierung zugleich.
Dieses Spiel soll entlasten, befreien und befriedigen. Soll beruhigen, dämpfen und unterdrücken. Und es soll verstärken, aufbauen und Entscheidungen herbeiführen.
Am Ende steht da ein Bürger, der Angst vor Armut hat, aber die Armen ignoriert. Seine Entscheidung ist die zur Eigenverantwortung. Und wer seine Angst in dieser Eigenverantwortung überwindet, wird zum Leitbild. Dieses Leitbild hat jedoch nicht mehr geleistet, als in eine vom Realitätsdruck befreite Welt zu flüchten.

Wer diesem Leitbild nicht folgen kann, unterliegt schnell normdämpfenden Strategien, wie der Beschwichtigung, der Aufhebung von Schuldgefühlen und vor allem den Ängsten vor der Einsamkeit. Er ist festes Mitglied in der Gruppe der Armutsängstlichen. Das Nichtzuwenden in diese Gruppe interpretiert er als mangelnde Informiertheit, unzureichendes Verständnis für rationale Argumente oder als die Auswirkung oft unbewusster Konflikte und Hemmungen.
Wieder ist für ihn der Arme kein Opfer eines Systems, sondern entweder selbst schuld an seinem Versagen oder hätte schlicht eine Therapie nötig gehabt.

In die Realität eines Bürgers der Mittelschicht, der Angst vor Armut hat, gehört er nicht. So wie auch das Eingeweide auf die Schlachthöfe gehört und nicht auf unsere Teller.
Wäre der arme Mensch eine wirkliche Realität unseres täglichen Lebens, die berührbar, riechbar und überhaupt sichtbar wäre, könnte die Trieb- und Konfliktintensivierung der PR-Politiker unseres Landes nicht funktionieren. Ein Armer am Tisch könnte anrühren. Rührung jedoch wurde zu einem romantisierenden Begriff. Nur etwas für Träumer auf der einen Seite, oder auf der anderen Seite etwas für reiche Menschen, die die Möglichkeit haben, ihre Rührung öffentlich zu zelebrieren und auszunutzen. Diese jedoch vergöttern den „edlen Armen“, wie schon unsere Ahnen den edlen Wilden anhimmelten. Einen Armen, der auch nicht der Realität entspricht. Dieser Arme weckt keine Angst vor Armut. Edle Arme nützen nicht im Spiel mit der Angst vor Armut. Und doch existiert er jetzt als reales Politikum. Warum?

Vielleicht ist es nicht der Arme selbst, der zum Politikum wird, sondern sein letzter Besitz.
Es ist nicht der Besitz des wirklichen Armen, der auf der Straße lebt und in Hauseingängen schläft. Niemand möchte ihm seinen Schlafsack stehlen. Und man muss ja auch schon sehr genau hinschauen, um alle Arme überhaupt zu sehen. Nein – es ist der Besitz an Fernsehern, Computern und anderen Dingen, die für eine soziale Kompetenz wichtig sind. Heute wird der edle Arme nicht mehr von Spendengala zu Spendengala gereicht, sondern sitz auf seinem Sofa und schaut Fernsehen. Das Edle an ihm ist nicht der Mensch, sondern sein Fernseher. Sein Kontakt zur Wirklichkeit der Menschen, die Angst vor seinem Zustand haben.

Ich glaube nicht, dass es Politiker in unserem Land gibt, die dies strategisch so planen – dies fiele für mich in den Bereich der Verschwörungstheorie. Ich glaube eher, dass sich eine anfängliche Armuts-Angst-Strategie verselbstständigt hat. Das Schlimme daran ist, dass die Politiker, die diese Geister heraufbeschworen hatten, diese nun nicht mehr loswerden wollen, sondern sich damit abfinden und darin herumlavieren. Bestenfalls hören sie sich Probleme an und sprechen dann von Einzelfällen.

Dies geht, weil wir die Armen unserer Realität nicht mehr sehen, sondern lieber in das Horn der Angst vor Armut blasen. Das ist jedoch keine Fanfare, sondern ein Nebelhorn.

 

Oktober 15, 2010 / unbeschirmt

Henryk M. Broders eigene Welt

Im Österreicher „kurier.at“ behauptet Henryk M. Broder, in Deutschland sei eine Hysterie ausgebrochen. (http://kurier.at/nachrichten/2031386.php) Und diese Hysterie zeige sich besonders in der Diskussion um Sarrazins Buch. Jedoch – so behauptet Broder – sei nicht das deutsche Volk von Hysterie getrieben, sondern die Politiker. Politiker, die in einer anderen Welt leben, wie Broder weiterhin behauptet.

Ja, Herr Broder. Da mögen Sie recht haben. Doch ist die Behauptung, Politiker lebten in einer anderen Welt, ungefähr genau so hilfreich und wertvoll, wie die These Sarrazins, dass Kopftuchfrauen immer weiter fleißig Kopftuchkinder zeugen würden.

Henryk M. Broder lebt nicht in einer parlamentarischen Demokratie
Broder springt für Sarrazin in die Bresche und behauptet, dass kaum ein Politiker zu einer klaren Aussage bereit wäre. Und dazu zitiert Broder Martin Luther, der gesagt haben soll: „Deine Rede sei ja oder nein.“ Ja, da hat Herr Broder endlich erkannt, dass wir in einer parlamentarischen Demokratie leben. „Deine Rede sei ja oder nein“ ist eine wunderbare Forderung, doch kann diese von Politikern in einer parlamentarischen Demokratie nicht erfüllt werden. Eher in einer Monarchie oder einer Diktatur. Die meisten Menschen würden sich wohl freuen, wenn endlich mal ein Politiker ein felsenfestes Ja oder Nein von sich gibt. Aber realistisch ist diese Forderung nicht. Es sei denn, es handelt sich um Stellungnahmen zu Artikeln des Grundgesetzes der unter der Ewigkeitsklausel steht. Hier kann ich nur feststellen, dass Herr Broder in einer anderen Welt lebt.

Henryk M. Broder zitiert Luther ohne die Bibel zu kennen
Interessant finde ich auch, welches Zitat Herr Broder da aus seinem Ärmel gezogen hat. „Deine Rede sei ja oder nein.“ Ich kenne dies so: „Deine Rede sei ja, ja und nein, nein!“ Und dieses Zitat stamm aus der Bergpredigt und bezieht sich auf das Gebot „Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“, sowie auf  die Warnung vor Vielrednern und dem Hinweis, dass Sprechen und Schweigen die Wirklichkeit schafft und repräsentiert.

„Achte nicht auf alles, was geredet wird“ (Prov 7, 22). Die Lippen der Schwätzer reden, was sie nicht angeht; auch findet weniger die Kraft der Worte als der äußere Status eines Redners Beachtung: „Redet ein Reicher, so schweigen alle und erheben seine Worte bis in die Wolken; doch redet der Arme, so heißt´s: „Wer ist der?“ und stößt er an, so bringt man ihn vollends zu Fall“ (Sir 13, 22f).

Aber Broders Gedanken reichen leider nur bis zu Luther. Auch hier lebt er in einer anderen Welt.

Henryk M. Broder verwechselt Pressefreiheit mit Narrenfreiheit
Weiterhin behauptet Herr Broder, dass auch für einen Sarrazin das Recht auf Pressefreiheit bestehe. Sowie für alle, die eine falsche Meinung vertreten. Hier wiederholt Herr Broder den Fehler, der ihm schon bei dem Luther-Zitat unterlaufen ist. Er bleibt an der Oberfläche und bezieht sich nur auf Artikel 5 unseres Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Und wo bleibt die Sorgfaltspflicht? Vor der Veröffentlichung müssen Inhalt, Herkunft und Wahrheitsgehalt überprüft werden. Ich bezweifle, dass Thilo Sarrazin dieser Sorgfaltspflicht nachkam. Warum auch? Er hatte ja nur ein Büchlein geschrieben, von dem er selbst wahrscheinlich annahm, dass es nicht mehr als eine Handvoll Gleichgesinnter lesen würde. Oder nicht? Wenn nicht, hätte Herr Sarrazin das öffentliche Interesse besser berücksichtigen sollen, sowie die Pflicht, Gegendarstellungen zu veröffentlichen. Da dies aber kaum in einem schon verlegten Buch möglich ist, kann Herr Broder unmöglich die Pressefreiheit meinen. Dies ist eine andere Welt. Die Welt eines Herrn Broders, aber nicht die unsere.
Nun mag es sein, dass Herr Broder nicht die Pressefreiheit, sondern die Redefreiheit meinte, wo wir wieder bei der Bibel angelangt wären.

„Die Lippen der Schwätzer reden, was sie nicht angeht; auch findet weniger die Kraft der Worte als der äußere Status eines Redners Beachtung.“
Aber Sarrazin hat geschwatzt. Broder möchte ihm nur einen rettenden Strohhalm zuwerfen. Schade nur, dass dies in uns fremden Welten geschieht.
Denn auch die Redefreiheit hat ihre ethisch-moralischen Grenzen. Wir alle dürfen nicht schlecht über andere reden. Je öffentlicher dieses Schlechtreden wird, desto moralisch verwerflicher wird es. Und wenn wir uns nun doch einmal, aus welchen Gründen auch immer, dazu genötigt fühlen, über jemand anderen schlecht zu reden, sollten wir ihm die Möglichkeit geben, sich sofort – in genau diesem Moment – zur Wehr zu setzen. Redefreiheit ist keine Vogel- oder Narrenfreiheit.

Henryk M. Broder lebt in der Welt des Geschwätzes
Natürlich kann ich Herrn Broder zustimmen, dass Politiker in einer anderen Welt leben. In einer Welt, in die sie die parlamentarische Demokratie manövriert hat. Und auch ich weiß, dass immer mehr unserer heutigen Politiker, sich als Heranwachsende sich wohl nichts mehr wünschten, als in dieser Welt zu leben. Ja. Das stimmt. Aber wo lebt Herr Broder? In Talkshows? In der Welt der Interviews, von wo er meint, uns vermeintliche Weisheiten vorgranteln zu können. Von oben herab; bestenfalls jovial?

Lieber Herr Broder. Es gibt eine Welt, die uns verbindet. Und das ist die Welt der Meinungsfreiheit. Ja. Die Meinung ist frei. Nur operative Eingriffe können das ändern. Das bedeutet aber nicht, dass man überall seine Meinung herausposaunen muss. Die Meinung bleibt auch frei, wenn man ganz einfach mal die Klappe hält.

 

 

 

Oktober 11, 2010 / unbeschirmt

Antwort auf Dr. Matthias Werwigks „Ja zu Stuttgart 21“

Dr. Matthias Werwigk ist ehemaliger Stuttgarter Stadtrat und war an der Beschlussfassung zu dem Bauprojekt beteiligt. Auf http://werwigk.de/ begründet er seine Befürwortung dieses Projekts.

Herr Dr. Werwigk schreibt, er „…habe den Eindruck, dass sich viele der heutigen Gegner mit zahlreichen Aspekten, die zur fairen Bewertung des Vorhabens gehören, gar nicht befasst haben…“
Meiner Meinung nach müssen aber zuerst einmal Bedingungen geschaffen werden, damit wir Bürger uns mit solchen Vorhaben überhaupt befassen können. Dieses so oft zitierte Planfeststellungsverfahren ist, wie fast jeder Verwaltungsakt, für eine Kommunikation ungeeignet. Erst unter Punkt vier dieses Verfahrens werden wir Bürger einbezogen. Dies nennt sich dann in Verwaltungsdeutsch „öffentliche Auslegung“. Vorher schon wurden nach der Einreichung des Planes betroffene Behörden angehört, die dann Stellung nehmen konnten.
Dies alles geschieht in einem Verwaltungsakt in Verwaltungsdeutsch im Rahmen einer Verwaltungskommunikation. Die Behörden schaffen die Kommunikationsebene und von uns Bürgern wird erwartet, dass er sich auf dieser Ebene bewegt. Es gibt zwar diese Behauptung, man könne nicht nicht kommunizieren, aber schon Watzlawick setzte dabei voraus, dass dazu überhaupt eine Basis für eine Interaktion gegeben sein muss. Das heißt, dass die Kommunikanten nicht nur die Möglichkeit haben müssen, aktiv in Interaktion treten zu können, sich sehen, hören oder sich schreiben können müssen, sondern auch, dass die Basis selbst nicht zu komplex oder zu kompliziert sein darf. Je komplexer oder komplizierter diese Basis ist, desto weniger ist eine Kommunikation möglich. Dies erkennt man z. B., wenn man zwei Astrophysiker über das diskutieren hört, was sich eventuell außerhalb unseres Universums befindet.

Die Bedingung einer gleichwertigen Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürger ist schon sprachlich nicht gegeben, wenn uns Bürgern, wie in so einem Verwaltungsakt, unsere Ebene zugewiesen wird. Bei einem Planfeststellungsverfahren werden wir Bürger aufgeteilt in Betroffene und Nicht-Betroffene. Betroffene können Einwände einreichen, Nicht-Betroffene dies nur in besonderen Planungsfällen.
Die Verwaltung entscheidet also vorher auf bürokratischem Weg, wer zu einem Einwand legitimiert ist. Selbstverständlich kann sich jeder Bürger innerhalb einer Demokratie beschweren, doch diese formelle Aufteilung in Betroffenheitslegitimationen schafft Hemmschwellen, die auch mündige Bürger demotivieren kann. Auch die vorher festgelegten Einwendungsfristen und Veränderungssperren verweisen uns Bürger vorab in unsere Schranken und wirken demotivierend.

Weiterhin geht Herr Dr. Werwigk auf den wirtschaftlichen Nutzen von Stuttgart 21 ein und auf die Kosten, die ein Stopp des Baus verursachen würde.
Sicherlich mag so ein Bahnhof wirtschaftlichen Nutzen bringen. Auch ist es gut möglich, dass die Bahn Schadensersatzansprüche gültig machen könnte. Und auch mag es sein, dass sich Alternativen in ökonomischer Sicht als schlechter herausstellen.
Ich meine aber, dass dieses Argument heute nur noch zählen könnte, wenn spätestens bei dem Einholen von Stellungnahmen betroffener Behörden darauf eingegangen wäre. Dazu gehört dann auch die Frage, ob es möglicherweise Proteste der Bevölkerung geben könnte, die ja auch einen Kostenfaktor sind. Auch hier ist die Kommunikation zwischen Behörden und uns Bürgern gescheitert. Die Behörde hätte die Pflicht gehabt, uns Bürger von sich aus auf die Risiken und die Veränderungen aufmerksam zu machen. Und dies auf einer bürgerfreundlichen Kommunikationsebene – nicht in Behördenjargon. Die Behörde muss sich auf die Ebene der Bürger begeben und darf nicht von uns Bürgern verlangen, dass diese sich auf die Ebene der Behörde begeben. Dies mag sehr schwierig sein und da sind auch Parteien sowie Bürgerverbände gefragt. Aber diese müssten dann schon zu der Stellungnahme betroffener Behörden hinzugezogen werden. Solange dies nicht geschehen ist, kann das Argument von Herrn Dr. Werwigk nicht greifen.

Herr Dr. Werwigk schreibt weiter, dass dieses Projekt Stuttgart 21 nicht die gesamte Politik dominieren dürfe. Es sei lediglich ein Bahnhof, der umgebaut wird. Nicht ein Atomkraftwerk.
Ich denke nicht, dass das Projekt Stuttgart 21 die gesamte Politik beherrscht, sondern das Gefühl von uns Bürgern, nicht ernst genommen, von den Behörden nicht als gleichwertiger Partner gesehen zu werden, beherrscht uns Bürger. Wir Bürger fühlen uns eher in die Funktion eines Empfängers von Werbebotschaften gesetzt.
Mit Sicherheit werden die Landesregierung und die Stadt für Stuttgart 21 geworben haben. Mit Broschüren, Vorträgen, Plakaten und und und. Ähnlich, wie Mercedes für sein neuestes Modell wirbt. Wir Bürger möchten aber mehr sein, als Empfänger von Werbebotschaften.
Es ist mir völlig klar, dass eine Stadt um seine Bewohner werben muss und möchte. Da helfen schöne Bilder von Bauvorhaben, beschönigende 3D-Grafiken und Animationen. Und ich kann von mir nicht behaupten, dass mich solche Bilder nicht faszinieren. Aber mit dieser Faszination hat es sich auch schon. Was die Politik nun zu spüren bekommt, sind genau dieselben kognitiven Dissonanzen, die auch Mercedes zu spüren bekommen würde, wenn die Kommunikation Mängel verschweigt. Was Stadt und Land verschwiegen haben, sind die Auswirkungen der Baumaßnahmen auf jeden einzelnen Bürger. Neben den vielen Broschüren, Plakaten und Animationen hätte auch ein Modell öffentlich zugängig gemacht werden müssen, welche Ausmaße so eine Baustelle hat, wie diese abgeholzte Fläche vor der Fertigstellung des Bahnhofes aussehen wird und evtl. auch, wie stark die Lärmbelästigung aussieht. Wenn auf der einen Seite beschönende Bilder veröffentlicht werden, denn so wie auf den Bildern werden wir Bürger den Bahnhof schon allein perspektivisch nie sehen können, wären ernüchternde Darstellungen auf der anderen Seite ein Zeichen von Ehrlichkeit und ein Zeugnis dafür, die Bedürfnisse von uns Bürgern ernst zu nehmen.
Stadt und Land scheinen inzwischen nur noch selbst zu glauben, die Bedürfnisse ihrer Bürger zu kennen. Wir Bürger glauben das längst nicht mehr. Auch bei eventuell vorher durchgeführten Umfragen wird kaum noch auf die Komplexität von Motiven eingegangen. Ich befürchte schon allein deswegen, weil dadurch die Kommunikation für eine Verwaltung zu schwierig werden würde.
Wenn ein Mitbürger Stuttgart 21 befürwortet, kann dieses motivational völlig unterschiedliche Bedeutungen haben. Und es können auch Bedeutungen sein, die dem Sinn des Projektes oder dem wollen der Stadt konträr sind. Es können rationale Überlegungen sein, Neid, diffuse Hoffnung etc. Eine ehrliche und gleichwertige Kommunikation findet auch hier nicht statt. Eher eine Ignoranz der tatsächlichen Bedeutungen; ob zustimmend oder ablehnend – wir Bürger fühlen uns übergangen und schon allein dadurch, dass dieses Gefühl vorab schon nicht mit in die Planungswaagschale geworfen wurde, wurden wir auch übergangen.

Was nun geschieht, ist eine Spaltung von uns Bürgern in gegeneinander isolierbare, überwiegend plausible Motoren des Verhaltens – den wirklichen Motiven nur fiktiv zugeordnet. Wir Bürger werden nun zu empirischen Daten, von denen aus steuernd oder gegensteuernd mit diesem Modell der Spaltung gedacht wird.
Wir, als empirische Daten sind dann z. B. so kategorisiert.: „Den Befürworten von X ist ein Argument Hoffnung um 30% wichtiger, als den Gegnern von X.“ Uns Bürgern werden Assoziationen zugeordnet. Die mag in der Werbung gängige Praxis sein, aber eine Verwaltung und Behörde darf mit uns Bürgern nicht so umspringen, wenn eine sachliche und faire Diskussion gefordert wird.
Der nächste Schritt, nach dem Zuordnen von Assoziationen der Befürworter eines Projektes, kann sehr schnell die sedierende Beeinflussung der Gegner sein. Aber wir leben nicht mehr in den 80er Jahren, wo das noch so leicht funktionierte. Heute gibt es das Internet und eine weitaus größere Medienvielfalt. Auch diese Entwicklung der Bürger des Landes zu ignorieren oder bestenfalls nur für ein Pro zu nutzen, sollte für Behörden und Verwaltungen nicht zu einer legitimen Kommunikation werden. Behörden dürfen uns Bürger nicht zu Werbeempfänger degradieren, ob nun bewusst oder nur aus Gründen der Bequemlichkeit und Verwaltungseffektivität.